Das Projekt
"City Views" versteht sich als "work in
progress" und wird von Martin Krenn in
Zusammenarbeit mit MigrantInnen in europäischen Städten
realisiert. Dabei werden emanzipatorische Orte, aber
auch Orte des Ausschlusses migrantischer Öffentlichkeiten
aufgesucht und in Form einer mit Text kommentierten und
sich permanent ändernden Fotoserie verarbeitet. Während
der Aufenthalte in den Städten führen die am Projekt
Beteiligten durch ihre Stadt und schlagen jeweilige Orte
als Motive vor. Dabei wird auch die Art, wie die
fotografische Aufnahme erfolgen soll, gemeinsam
festgelegt. In einem längeren Prozess legen die
Beteiligten über E-Mail die Auswahl der Fotos fest und
ergänzen diese durch Textkommentare.
Becker:
Deine Projekte entsprechen nicht der klassischen journalistischen
Arbeit.
Krenn:
Meiner Herangehensweise ging eine gewisse Entwicklung
voran. Bei Demonstrate! realisierte ich eine Fotoserie
zu den Donnerstagsdemonstrationen, die ab Februar 2000
gegen die neue Regierung von FPÖ und ÖVP wöchentlich
stattgefunden hatten. Der Medien-Hetze vom Bild der
Masse Gewalttätiger habe ich subjektive Sichtweisen
von einzelnen DemoteilnehmerInnen gegenübergestellt.
Während der Demozüge im Sommer 2000 wurden die DemonstrantInnen
gefragt, ob und wie sie fotografisch dargestellt werden
wollen. Weiters habe ich sie ersucht, ein Statement
zur politischen Situation in Österreich zu verfassen.
Dieses ist dann per E-Mail eingelangt, oder vorher von
mir auf Mini-Discrecorder aufgenommen und dann via E-Mail/Telefon-Kontakt
fertiggestellt worden. Mein Ansatz ist der einer Untersuchung
gesellschaftspolitischer Felder, diese erarbeite ich
gemeinsam mit einzelnen und Gruppen, es gibt dabei einen
Austausch zwischen meiner Position und den verschiedenen
anderen Positionen.
Becker:
Also eine Frage der Repräsentation?
Krenn:
Die Frage kann man verschieden stellen, je nachdem ob
man das symbolische Kapital des Künstlers /der Künstlerin
anspricht, die/der davon profitiert, oder wie man die
Frage überhaupt lösen kann. Meine Projekte sind prozessorientiert,
ändern sich und schlagen oft andere Wege ein. Gegenseitige
Kritik mit und von meinen jeweiligen ProjektpartnerInnen
ist ein Teil davon. Mir ist allerdings klar, dass ich
in einer privilegierten Position bin, wo wir wieder
bei der Repräsentationsfrage wären. Beim Projekt "City
Views" nehme ich bereits vor meinem Stadtbesuch
Kontakt mit Leuten mit migrantischem Hintergrund auf.
Diese Kontakte werden mir über Personen der jeweiligen
Kunstinstitutionen, wo ich ausstellen werde, vermittelt.
Ich stelle ihnen dann vor Ort meine bisherigen Projekte
vor, erzähle, wer ich bin, und daraus entwickelt sich
eine Art Stadtführung durch die ProjektpartnerInnen.
Die meisten Leute gehen mit mir zu einzelnen Orten,
und dann wird gemeinsam überlegt, wie man diese fotografisch
abbilden kann. Mit manchen entstanden Freundschaften,
andere unterstützten mich nur bei der Bildfindung. Die
Grundfrage an alle lautet, dass sie mir Orte zeigen,
die für sie wichtig sind in Bezug auf Migration, Rassismus
und Widerstand. Das können Orte sein, die mit einer
persönlichen Geschichte zusammenhängen oder auch Orte
von allgemeiner Bedeutung.
Becker:
Wie kommt es dann zur Auswahl der Städte?
Krenn:
Die Auswahl ergibt sich daraus, dass ich in den Städten,
wo ich mit MigrantInnen kooperiere, dann auch die Fotos
ausstellen kann.
Becker:
Wie schälen sich so Orte heraus, abhängig einerseits
von einer Infrastruktur, die vermutlich im Kulturbereich
verortet ist, und zum anderen vom Wunsch, interessante
Praxen, wichtige Orte, hilfreiche Personen dort aufzufinden?
Krenn:
Als Künstler versuche ich neue Strategien innerhalb
des Kunstsystems zu finden. Wenn ich ein Projekt für
eine Kunstinstitution realisiere, dann möchte ich auch
inhaltlich einen Support dafür bekommen. Die meisten
Institutionen waren sehr engagiert und haben versucht,
für mich mit MigrantInnen direkt in Kontakt zu treten.
Mir war auch wichtig, dass meine KooperationspartnerInnen
in keinen existentiellen Schwierigkeiten stecken, weil
ich glaube, dass das Projekt für sie konkret zu wenig
bieten könnte. Eine Ausnahme ist die Universal Embassy
in Brüssel gewesen. Sie wird schon seit über zwei Jahren
von Sans-Papiers besetzt und bewohnt. Die Menschen dort
haben wirklich größte Schwierigkeiten. Deshalb muss
man auch ein bisschen vorsichtig sein, nicht einen zu
romantisierenden Blick auf dieses Projekt zu haben,
was mir zugegeben passiert ist. Die Leute, die dort
leben, leisten politische Arbeit, sind aber ohne Papiere
und illegalisiert, und somit täglich von der Abschiebung
bedroht.
Becker:
Nach der Kontaktaufnahme mit den MigrantInnen gibt es
dann eine Art alternative Stadtführung?
Krenn:
Gulliver Chahrour in Helsingborg hatte sich bereits
vorher im Internet über meine Projekte informiert. Er
beschrieb in seiner Tour die Ausbeutungsverhältnisse
von ArbeitsemigrantInnen bis in die späten 70er Jahre
durch den Industriellen und Stadtpatron Henry Dunker.
Dunker vermachte nach seinem Tod sein auf diese Weise
gesammeltes Vermögen der Stadt. Eine Fabrik Dunkers,
wo fast nur MigrantInnen gearbeitet hatten, ist jetzt
eine Universität. Als Wahrzeichen ließ man den alten
hohen Rauchfang stehen. Gleich nebenan finden sich große
alte Wohnhäuser, in denen ausschließlich die von ihm
beschäftigten ArbeiterInnen wohnen durften. Wenn sie
kündigen wollten, verloren sie zugleich ihr Recht, weiter
in diesem Haus zu wohnen.
Mit anderen KooperationspartnerInnen
bin ich stundenlang in Cafés gesessen, wir haben diskutiert,
teilweise über bereits fertiggestellte Fotoarbeiten
in anderen Städten gesprochen. Manchmal passiert es,
dass meine GesprächspartnerInnen daran anknüpfend sehr
persönliche Dinge erzählen und sich daraus die Stadtführung
entwickelt.
Becker:
Es ist ja relativ schwierig, die eigenen biografischen
Erzählungen zu verorten.
Krenn:
Die Bildfindung passiert meist vor Ort. Jasminka Dedic
zeigte mir eine Insider-Bar in Ljubljana, wo man als
Ankommende nicht so willkommen ist, diese Bar ist von
außen durch eine milchige Scheibe aufgenommen worden
und vermittelt dadurch auch eine gewisse Distanz. Es
gibt auch eigens "inszenierte Bilder", z.B.
ein Foto zum 11. September von Babak Houman. Das war
meine erste Kooperation, mein Startversuch für das Projekt,
und mit Babak bin ich seit der Schulzeit befreundet.
Babak ist aus dem Iran und hat bemerkt, dass die Kriterien
für die Rasterfahndung nach mutmaßlichen Terroristen
genau auf ihn zutreffen würden: Er ist Mathematiker,
ledig und aus dem Iran. Daraus entwickelten wir die
Idee, dass sein privater Arbeitsbereich abgebildet wird.
Becker:
Wenn ExpertInnen mit ihrer Praxis mit den sogenannten
Laien Fragen der Repräsentation und der Bildpolitik
besprechen: Besteht deine Arbeit darin herauszuarbeiten,
was das wirkliche Bild wäre jenseits des Gestanzten?
Krenn:
Falls beispielsweise multikulturelle Clichees auftreten,
die letztlich wieder rassistische Vorstellungen unterstützen
würden, dann diskutiere ich das mit den jeweiligen KooperationspartnerInnen.
Natürlich ändern sich aber auch meine Sichtweisen, alleine
schon durch die Information, die ich über Lebensbedingungen
und Widerstandstechniken von MigrantInnen im Verlauf
des Projekts bekomme. Es stellt sich in den Vorgesprächen
sehr schnell heraus, ob wir auf einer gemeinsamen "Wellenlänge"
sind. Oftmals sind meine KooperationspartnerInnen AktivistInnen
oder auch TheoretikerInnen, die sich auch bereits intensiv
mit antirassistischer Theorie beschäftigt haben. Andere
hatten wiederum eine derart schwierige Lebenssituation,
dass es mir auch nicht zustehen würde, ihnen Rassismus
zu erklären.
Becker:
Zur Debatte um die Bildauswahl: Gehen die Empfehlungen
bis hin zum Bildausschnitt, bevor du den Auslöser drückst?
Und würdest du die Kamera aus der Hand geben, hat schon
jemand gefragt?
Krenn:
Oftmals bekomme ich Anweisungen, manchmal sehr präzise,
manchmal heißt es auch nur: Mach jetzt mal ein paar
Fotos und die Auswahl erfolgt später. Vor Ort kann ein
erster Eindruck durch das Display der Digitalkamera
gewonnen werden.
Es gibt einige Beispiele, wo
KünstlerInnen z.B. Flüchtlingskindern Kameras in die
Hand geben und dann die so entstandenen Fotos in ihrer
Arbeit weiterverarbeiten. Bei meiner Arbeit geht es
allerdings mehr um einen Austausch, um die Suche nach
Motiven, Sichtweisen und Inhalten, die dann letztlich
von mir fotografisch verarbeitet und durch Textkommentare
der KooperationspartnerInnen erweitert und auch definiert
werden. Somit würde ich bei dieser Arbeit die Kamera
nicht aus der Hand geben, da auch meine persönliche
Handschrift sichtbar sein soll.
Becker:
Wer hat die Rechte an den Fotos?
Krenn:
Das Copyright liegt meines Wissens bei mir, da ich ja
die Fotos gemacht habe. Ich habe mich allerdings noch
nicht damit beschäftigt, da sich bisher auch noch nicht
diese Frage gestellt hat. Würden aber meine Fotos in
Zusammenhängen gezeigt werden, die ich nicht akzeptabel
erachte, würde ich sicher Einspruch erheben. Teilweise
konnte ich meine KooperationspartnerInnen bezahlen,
das hing auch stark ab von der kooperierenden Institution.
Es handelt sich eher um ein symbolisches Honorar, und
entspricht in etwa dem Honorar, das ich für Vorträge
in diversen Bildungsinstitutionen bekomme.
Becker:
Wird vor Ort eine Auswahl getroffen?
Krenn:
Ich mache bereits eine Vorauswahl von all den entstandenen
Fotos, sende diese dann über das Internet meinen KooperationspartnerInnen
zu. Wenn jemand keinen Internetanschluss hat, werden
ihr oder ihm über eine Kontaktperson in der jeweiligen
Stadt die Aufnahmen zugänglich gemacht. Manchmal werden
auch einige Fotos als misslungen abgelehnt. So entstehen
pro Kooperation zwischen 4 und 10 Fotos. Die fertige
Zusammenstellung für die jeweilige Präsentation in den
Städten entscheide ich dann autonom. Ich versuche, je
nach Ausstellungssituation möglichst alle Fotos der
Stadt zu zeigen, um auch die Bildergebnisse wieder an
den Ort zurückzuführen.
Becker:
Dann muss die Narration, also die Bildunterschrift entwickelt
werden...
Krenn:
Am Beginn des Projektes dachte ich, es wäre schöner,
wenn die Statements erst im Nachhinein via E-Mail formuliert
werden würden. Doch da hatten viele schon wieder zur
Hälfte vergessen, was sie mir vor Ort erzählt hatten.
Ich arbeite mittlerweile so, dass ich vor Ort die Statements
mit einem Audiogerät aufnehme, sie in Wien transkribiere
und dann mit den Fotos mitsende.
Becker:
Ihr sprecht zumeist in den Sprachen der Kolonialisierung.
Sind nicht die Texte derer, die da sprechen, schon extrem
durch das Ankunftsland gefärbt?
Krenn:
Ich hatte meine ProjektpartnerInnen ersucht, die Statements
in ihrer Herkunftssprache zu schreiben. Die meisten
hatten aber interessanterweise keine Lust dazu, da sie
ja auch nicht in ihrer Herkunftssprache mit mir gesprochen
haben. Sie hätten faktisch im Nachhinein alles in ihre
Herkunftssprache übersetzen müssen. Bei diesem Projekt
geht es auch nicht darum, MigrantInnen zu portraitieren,
sondern die Stadt aus der Sicht von Leuten mit migrantischem
Hintergrund zu interpretieren. Insofern vermute ich,
ist die Herkunftssprache in diesem Sinne nicht von solcher
Bedeutung.
Becker:
Gibt es bei der Präsentation eine Ordnung entlang der
Lokalität?
Krenn:
Die Serie gliedert sich in verschiedene Themenbereiche.
Die Orte werden innerhalb dieser Themen durchmischt.
Bei der Hängung ergänzen Texttafeln mit den jeweiligen
Statements die einzelnen thematisch geordneten Fotografien.
Die BetrachterInnen können somit oft auch nicht gleich
erkennen, von welcher Stadt das jeweilige Foto stammt.
Becker:
Wie fasst du emanzipatorische Orte auf - gegenüber den
Orten der Exklusion?
Krenn:
Ich glaube mittlerweile, dass es nicht die beste Methode
ist, als Künstler immer nur auf die Orte des Ausschlusses
von MigrantInnen zu verweisen und diese zu kritisieren.
Ich versuche, die Strategien immer wieder zu ändern,
zu verbessern und auch zeitlich entsprechend zu modifizieren:
1997 war in Wien Schubhaft kaum ein Thema, und viele
wussten gar nicht, dass Abschiebegefängnisse überhaupt
existieren. So habe ich gemeinsam mit Oliver Ressler
versucht, diesen Ort öffentlich als staatlichen Rassismus
zur Diskussion zu stellen. 2003 wissen fast alle in
Wien, dass es Schubhaftgefängnisse gibt, doch offenbar
billigen viele die dort unzumutbaren Bedingungen für
eingesperrte illegalisierte Menschen. Verschlechtert
sich das rassistische Klima, dann genügt es nicht mehr
nur, über die Existenz solcher Orte des Ausschlusses
und die dort vorherrschenden Missstände "aufzuklären".
In den letzten Jahren setze ich
mich mehr mit sogenannten emanzipatorischen Orten und
des Widerstandes auseinander. Wobei ich den Begriff
"emanzipatorischer Ort" bei ‚City Views' sehr
weit fasse. Das kann auch das Stadion in Warschau sein,
welches von MigrantInnen mit einem illegalen Markt besetzt
wird. Oder eine beheizte Parkbank in Helsingborg, die
von russischen Jugendlichen benutzt wird, um mit ihren
FreundInnen dort schöne Abende zu verbringen.
Becker:
Bei emanzipativen Orten besteht oft die Gefahr der Projektion.
Die ‚Universal Embassy' funktioniert durch Ausnützung
des kapitalistischen Systems.
Krenn:
Eigentlich gibt es sie vor allem deshalb, weil der somalische
Staat aufgrund des Bürgerkrieges nicht existiert. Das
hat zwar auch mit Kapitalismus zu tun, aber in erster
Linie mit der gesetzlichen Situation in Brüssel, dass
ein Haus nur geräumt werden kann, wenn der Eigentümer
sein Recht in Anspruch nimmt und eine Räumung verlangt.
Der somalische Staat kann zur Zeit nicht als Eigentümer
auftreten.
Becker:
Bei der ‚Universal Embassy' ist die Ursache von Flucht,
in einem "failed state" zu leben, einem gescheiterten
Staat, der von Bürgerkriegen durchzogen ist, und an
Stelle von Nationalstaatlichkeit Warlord-Strukturen
herausbildet. Dies schafft zugleich eine Lücke, um sich
in der Botschaft einnisten zu können, während die Reste
der Staatlichkeit noch an den Wänden hängen. Vieles
an der Arbeit der ‚Universal Embassy' ist der Reproduktion
eines Status Quo des Überlebens geschuldet. Ich hatte
projiizierend erwartet, dass sie Hort des Widerstandes
gegen das rassistische Regime sei.
Krenn:
Wie würdest du das Emanzipative an Orten beschreiben,
was wäre das?
Becker: Soziale Räume,
in denen man sich von einer Stigmatisierung lösen kann,
wo widerständische Praxen entwickelt werden, von denen
aus eine kritische Öffentlichkeit geschaffen wird.
Krenn:
Ich sehe das ähnlich, ich frage mich nur, ob das die
Realität aus der Sicht der MigrantInnen ist, oder nicht
viel mehr der kritischen Öffentlichkeit selbst.
Becker:
Dass man händeringend das politische Projekt darin sucht,
oder auch einen Ort der Emanzipation - bei bignes? habe
ich herumgedruckst mit dem Begiff des ‚städtischen Handelns'
als einem Akt der Renitenz und der schieren Präsenz
von Leuten, die halt nicht klassisch als politisch links
auftreten, was man mit gewissen Formulierungen, Akten
und Symbolen verbindet. Vielleicht ist etwas politisch
durch schieres Beharren und Präsenz, weil eine Artikulierung
jenseits dessen gar nicht dem Alltag entspräche.
Krenn:
Das Stadion ist vielleicht so ein Ort. Dort hat mich
Rigels Halili informiert, dass die Stadt natürlich schon
lange versucht, illegale Märkte zu unterbinden. Nach
dem Zusammenbruch des "Ostblocks" gab es überall
solche illegalen Märkte. Ich möchte das nicht idealisieren,
aber es ist eine Realität, dass die Menschen dort vom
Verkauf leben.
Becker:
Es bietet die Möglichkeit zu bleiben, den Status zu
verfestigen, und zugleich ist es auch ein symbolischer
Ort der Präsenz. Das zirkuliert in Gesprächen, Bildern
oder Filmen, und ist insofern mit der ‚Universal Embassy'
vergleichbar. Doch zugleich existieren hier Rohformen
von ausbeuterischen und völlig dem Modell der Emanzipation
widersprechenden Arbeitsverhältnissen.
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