"Formen
der Organisation" war eine Ausstellung in der
Ljubljanaer Galerija Skuc und in der Galerie der
Hochschule für Gestaltung und Buchkunst Leipzig,
die sich mit solchen organisatorischen Formen der
Bewegungen für soziale Gerechtigkeit auseinander
setzte, die sich nicht auf existierende Formen politischen
Verhaltens beziehen, sondern außerhalb des durch
das System definierten Feldes entstehen.
Die Repräsentation
politischer Erfahrung wurde dabei von den Wiener
Kurator/innen Roger M. Buergel und Ruth Noack bewusst
im Sinne einer "konventionellen" Ausstellungsform
umgesetzt, in der erhebliches Vertrauen in die Macht
der Bilder investiert wurde, einen politischen Diskurs
auszuformen.
Die von Roger
M. Buergel und Ruth Noack organisierte Ausstellung
befasste sich nicht mit der Kollektivität der Kunstwelt.
Ihr Schwerpunkt lag stattdessen auf dem Konzept
des kollektiven Werks in Anlehnung an Leo Bersanis
Denkmodelle zu neuen Wegen des "Zusammenseins".
Sie sind nicht vorherrschend reaktiv, gegen etablierte
hierarchische Beziehungsmuster – die Unterschiede
im Bezug auf Über- und Unterlegenheit, auf dominante
und unterdrückte Gruppen aufstellen; vielmehr stellen
sie den Primat des hierarchischen Unterschieds als
fundamentale Beziehungsstruktur an sich infrage.
Die ästhetische Gestaltung der Ausstellung basierte
auf Analogien und Korrespondenzen, der Vorstellung,
dass Bersanis Neuauflage von Baudelaires Theorie
der Korrespondenzen das Potenzial der ästhetischen
Erfahrung beschreibt, das Wesen der Bezüge selbst
neu zu durchdenken und gegebene Kategorien und Werte
infrage zu stellen, indem sie weder im adaptiven
noch im transgressiven Sinne mit ihnen in Beziehung
tritt. Die sich aus der Anordnung der Werke, welche
in dialogische Beziehungen zueinander gesetzt sind,
ergebenden Korrespondenzen, heben eine Kritik der
Ideologie dessen hervor, was Bersani als "Identität
als Autorität" bezeichnet – einer Ideologie,
die den präsentierten Werken implizit im selben
Maße innewohnt, wie die Formen der Korrespondenzen
von gewöhnlichen sozialen Formen abweichen.
Die Ästhetisierung
natürlicher Phänomene ist das Thema von Simon Wasmuths
Video abstrakter Motive aus dünnen weißen Linien
aus "Regen" ganz in der Nähe von Andrea
Geyers Fotografie von Blättern, die die "Qualität"
der ornamentalen Formen in der Spannung zwischen
natürlicher Kreation und der transformatorischen
Macht des Blicks verdeutlicht. Ein weniger offensichtlich
"pastorales" Motiv ist auch in Ines Doujaks
Environment "Parade", einem Modell einer
Gay Pride Parade aus kleinen hölzernen Lastern präsent.
Die Laster sind mit ausgeschnittenen Fotografien
von Menschen bedeckt, die sich vor einem Betrachter
in Pose werfen, ausgestattet mit sexuellen Accessoires,
die von den gängigen heterosexuellen Stereotypen
der Darstellung lesbischer und homosexueller Sexualität
abweichen. Im Gegensatz dazu fungieren dekorative
Zimmerpflanzen, die auf einigen der Laster platziert
sind, als unheimliche Details, die auf das Wirkliche
hindeuten, von dem aus das Bild selbst auf uns zurückblickt.
Der aus Lastern gebildete Kreis ist an einem Punkt
unterbrochen. Diese Leere, ein "Loch"
in der Mitte der Parade fungiert gleichzeitig als
eine Schwelle, als möglicher Eintrittsort wie auch
als ein Ort, der jedem Relativierungsversuch, jedem
Versuch, es auf eine der Verkörperungen zu reduzieren,
es auf ein Ergebnis der Umstände zu beschränken,
widersteht.
Auf bestimmte
Weise klingt das "Loch" auch in Peter
Friedls "New Kurdish Flag" an, einer Kopie
der kurdischen Flagge, in der das Rot durch Pink
ersetzt ist und der Stern in der Mitte ausgeschnitten
wurde. Eine Flagge ist das Symbol von Souveränität
und nationaler Identität, dessen Autorität man sich
nicht entziehen kann. Das Loch in der Flagge allerdings,
das der Ort ist, von dem das überdeterminierte Symbol
entfernt wurde, soll nicht etwa an die Schleifung
von Symbolen in den früheren kommunistischen Staaten
nach 1989 erinnern, an die Zeiten der Formierung
einer "Neuen Harmonie", als ein solches
Loch die einzige Möglichkeit darstellte, sich in
Distanz zum herrschenden Symbol zu positionieren.
Vielmehr ist es ein möglicher Ort für eine politische
Forderung über die Autorität nationaler Identität
hinaus. Die Vorstellung von Leere, einem Loch, einem
freien Raum, ist auch für die Arbeit "Cambio
de Lugar – Change of Place" von Andrea Geyer
und Sharon Hayes von Bedeutung. Das Projekt setzt
eine Reihe von Dialogen mit Frauen in Gang, die
in unterschiedlichen (Sprach-)Kontexten leben. Die
Künstlerinnen haben einen Grundkatalog von Fragen
geschaffen, eine gemeinsame Ausgangsbasis zur Auseinandersetzung
mit politischen und gesellschaftlichen Gender-Artikulationen
aus spezifischen und unterschiedlichen Positionen.
Die Video-Dokumentation jedes dieser Interviews
zeigt lediglich das Bild der Übersetzerin und hebt
damit die Bedeutung der Übersetzung für die Wissensproduktion
hervor; gleichzeitig verwehrt sie den Betrachter/innen
die Möglichkeit, sich auf die interviewte Person
zu projizieren oder sich mit ihr zu identifizieren.
Auf diese Weise wird ein Freiraum geschaffen, in
dem die Produktion der diskursiven Information eindeutig
nicht nur im Interview selbst, sondern auch in der
Wahrnehmung durch den Betrachter verortet ist.
Die Diaprojektion
des baskischen Künstlers Ibon Aranberrie verband
gespenstische Diagramme nicht erkennbarer Herkunft
mit historischen Bildern vom Protest gegen die Errichtung
eines Atomkraftwerks im Baskenland in den späten
Siebzigern, als ökologischer Protest zum Ausgangspunkt
für die Artikulation politischer Forderungen nach
dem Ende der Franco-Ära wurde. Indem sie zwischen
der dokumentarischen Qualität der Archäologie des
Protests und einem nicht verwirklichten utopischen
Projekt oszilliert, kreist seine Arbeit um ein Gefühl
der Unsicherheit und der Leere und setzt auf das
gesellschaftliche Moment, um das herum sich die
"baskische Sache" des Nationalismus, unterstützt
durch eine fortschrittliche soziale Bewegung, formiert
hatte. Eine ähnlich tastende Rekonstruktion einer
Geschichte, die nie stattgefunden hat, zeichnete
sich auch in Andreas Siekmanns Projekt "Wir
reisen für Bakunin"(1992) ab, bei dem Männer
gesucht wurden, die eine äußerliche Ähnlichkeit
mit dem Anarchisten Bakunin verbindet, die dann
an verschiedenen Orten einer fast werbemäßigen Tourneeroute
ein kostenloses Mittagessen spendiert bekamen. Das
daraus entstandene Buch ist keine Dokumentation
des theatralischen Ereignisses der Zusammenkunft
so vie-ler Bakunins, die Zeichnungen ähneln vielmehr
Instruktionen, die mögliche Vorschläge, sich der
Wirklichkeit zu nähern, enthalten, immer verbunden
mit einem Möglichkeitsdenken für Veränderungen.
Die Karte von irwin greift das strategische Konzept
dieser Gruppe auf, die Kunstgeschichte als "Schlüsselterritorium"
zu betrachten. Sie attackiert polemisch den scheinbar
universalen Modernismus, indem sie andeutet, dieser
sei de facto ein bloß "westlicher Modernismus"
und indem sie retrospektiv und bewusst eine Karte
des ganz eigenen Modernismus des Ostens entwirft
und somit verdeutlicht, was dem Osten verwehrt geblieben
ist.
Die Ausstellung
entgeht der Versuchung, sich mit soziologischen
Interpretationen von Kunst zu befassen, die unter
Bedingungen der Gemeinschaft entstanden ist, und
mit der Ästhetisierung von Praktiken, die ansonsten
als vorwiegend gesellschaftlich und politisch betrachtet
werden müssen. Der Blickpunkt liegt nicht auf experimentellen
Organisationsformen, die neue Formen der Selbstorganisation
und der Verbindung mit anderen Experimenten ausloten,
sondern auf der ästhetischen Darstellung neuer Organisationsformen
in den Erfahrungen des Politischen, wobei unter
Beweis gestellt wird, dass die ästhetische Erfahrung
in der Lage ist, Beziehungsmodelle zu erwägen, indem
sie sich nicht etwa an sie anpasst, sondern indem
sie vielmehr unsere Sehgewohnheiten verändert. "Organizational
Form" steht denjenigen Stimmen nahe, die die
Rückkehr zur Ästhetik just in jenem Moment propagieren,
in dem es immer augenfälliger wird, dass im Hinblick
auf Ästhetik nichts mehr selbstverständlich ist.
Die Ausstellung schafft es, weiter darauf hinzuarbeiten,
den Wert der ästhetischen Erfahrung für die künstlerische,
kulturelle und ästhetische Analyse wiederzuentdecken.
Sie erreicht diese Wirkung, indem sie das ästhetische
Vergnügen wieder in den vermischten, unsauberen
Bedingungen situiert, die für jegliche soziale Praxis
und Erfahrung, ganz ungeachtet dessen, wie privilegiert
oder marginalisiert sie sein mag, charakteristisch
sind, und indem sie die Ästhetik im Spannungsverhältnis
zu ihren historisch dominanten diskursiven Formulierungen
betrachtet.
"Formen
der Organisation", mit Raimond Chaves, Alice
Creischer/Andreas Siekmann, Ines Doujak, Latifa
Echakhch, Parastou Forouhar, Peter Friedl, Andrea
Geyer/Sharon Hayes, irwin, Rainer Oldendorf, Lisl
Ponger, Alejandra Riera, Dierk Schmidt, Simon Wachsmuth,
Konzeption: Roger M. Buergel und Ruth Noack, Galerija
Skuc, Ljubljana (in Zusammenarbeit mit Gregor Podnar
sowie mit einem Beitrag von Peio Aguirre und Leire
Vergara), 28. November 2002 bis 15. Januar 2003;
Galerie der Hochschule für Gestaltung und Buchkunst,
Leipzig, 11. April bis 10. Mai 2003.
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Die Besprechung
erschien zuerst in Texte zur Kunst, Heft 50 / Juni
2003.