Kunst kann unabhängig vom / in Oppositionen zum
Kunstbetrieb agieren. KünstlerInnen können
sich in ihrer Arbeit der Analyse und dem Wandel gesellschaftlicher
Rahmenbedingungen verpflichten, ohne dabei nach gängigem
Verständnis musealisierbare Produkte herzustellen,
wandeln dabei aber auf einem schmalen Grat. Auf dessen
einer Seite lauern Marginalisierung, ausbleibende Anerkennung
der künstlerischen Arbeit und/oder Selbstausbeutung;
auf der anderen Vorwürfe wie jener der Untermauerung
der Definitionsmacht der Kunstinstitutionen, indem einfach
über den Prozess anstelle des Produkts in den Kunstbetrieb
eingestiegen wird; oder jener, dass die mikropolitischen
Effekte gesellschaftlich agierender Kunst Ablenkungsmanöver
in einer Gegenwart sind, in der sich der Staat aus dem
sozialen Feld zurückzieht; oder jener der Generierung
der Figur des "Anderen" durch die Partizipationsmodelle
der Public Art, verbunden mit den Segnungen eines Mutter-Teresa-Effekts
für alle Beteiligten.
Das Storyboard zur Geschichte und - zergliederten -
Gegenwart prozessorientierter, kritischer Kunstpraxen,
bestehend aus den Handlungen ihrer multipel agierenden
ProtagonistInnen, Symposien, Publikationen und auch
Ausstellungen, hat sich noch nicht zu einer Verortung
im Kunstbetrieb verdichtet. Ein wirklicher Shift des
ästhetisch orientierten Kunstbegriffs hat nicht
stattgefunden. Aussagen zur Relevanz und Rezeption sind
aber selbst bei jenen, die nicht mit Jean-Christophe
Ammanns Credo "Trust the Art, not the discourse
generating the Art" gehen, unterschiedlich: "Ist
es unsexy und kommt es beinahe einer Analfixierung gleich,
gesellschaftliche Machtverhältnisse zu analysieren?",
fragt Hedwig Saxenhuber im Shorttext zu ihrem Vortrag
auf der "manifesta" 2002 in Frankfurt/Main.
"Je höher der ornamentale Anteil der Wirklichkeit
und ihrer Konfliktstoffe (besonders beliebt sind derzeit
Issues der Urbanität und der postkolonialen Identitätsproduktion),
desto größer die Chance auf ein Ausstellungsprojekt
im Museum", analysiert hingegen Marius Babias.
"In Zusammenhang mit der autoritätskritischen
und prozesshaften Kunst der Neunziger muss man darauf
hinweisen, dass auch Projekte, Aktionen, Texte und andere
nicht-objekthafte Formen längst einen eigenen Markt
bedienen", meint wiederum Stella Rollig. Die Kokerei
Zollverein Essen, Kunst-Produktionsort mit einigem Theorie-Output,
schlittert im Pressetext zu den durchaus produktorientierten
Geschwistern Irene und Christine Hohenbüchler selbst
in das Legitimationsdilemma: "Um einer Festschreibung
als Therapeutinnen zu entgehen, agieren die Hohenbüchlers
parallel zu ihren Projekten mit gesellschaftlichen Randgruppen
aber auch als Malerinnen und Bildhauerinnen."
Zwei Ausstellungen waren es jüngst in Wien, die
sich mit - sehr unterschiedlichen - Aspekten rund um
Legitimation und Verortung nicht-institutioneller Kunst
befassten. Die von der Schweizer Künstlerin und
Kuratorin Ursula Biemann für die Generali Foundation
kuratierte Schau "Geografie" und "Inscribing
the Temporal" in der Kunsthalle Exnergasse; letztere
gliederte sich in drei Teile, der von der amerikanischen
Kuratorin Sara Reisman zusammengestellten Ausstellung
zu nicht-institutioneller Kunst in New York, einem Archiv
zur Wiener und New Yorker "Szene" (zusammengestellt
von Hemma Schmutz und Peter Szely bzw. Rebecca Guber,
Elizabeth Hires und Sara Reisman) und einem Symposion.
Partner bei "Inscribing the Temporal" war
das Forschungsprojekt republicart, das zeitgenössische
Formen der Public Art untersucht und fördert.
Eigentlich ist es Aufgabe dieses Textes, anhand von
"Inscribing the Temporal" die Einschreibung
ephemerer Kunstprojekte in das Kunstfeld näher
zu betrachten. Ein Querverweis auf die Ausstellung in
der Generali Foundation ist dennoch sinnvoll, denn beide
Ausstellungen stellen relevante Fragen zum künstlerischen
Selbstverständnis und zu künstlerischen Arbeitsmöglichkeiten,
konnten jedoch Problemen bei der Visualisierung der
entsprechenden Prozesse in den Ausstellungsraum nicht
gänzlich entkommen. Ursula Biemann stellt in ihrem
Katalogtext die These in den Raum, dass die KünstlerInnen
als BedeutungsproduzentInnen an der Gestehung der (diskursiven)
Orte, die sie beschreiben, beteiligt sind, und favorisiert
gleichzeitig kollektive, oft interdisziplinäre
Arbeitsansätze. Biemann verweist auch auf den Ausstellungsraum
als einen Ort, in den sich temporäre Projekte allmählich
in Form eines Programms einschreiben. Hier finden sich
also in den Fragestellungen und Antwortangeboten Parallelen
zu "Inscribing the Temporal".
Die Rolle von Ausstellungsorten sowie den Effekten
künstlerischer Prozesse auf den gewählten
Handlungsort war auch Thema in der Exnergasse, einem
genuin anderen Ausstellungsort, wenn etwa auf dem Symposion
Fragen nach den Strategien der Einschreibung oder den
politischen Wirkungen vs. bloßen Distinktionseffekten
diskutiert wurden vor dem Hintergrund des in die Bedeutungsproduktion
drängenden Verwaltungsapparats Quartier 21 oder
der Problematik von sich institutionalisierenden, ortsbezogenen
Kunstereignissen wie "Soho in Ottakring" .
Den bei der Übertragung der Ansätze in den
Ausstellungsraum entstehenden Leerstellen stellte sich
Biemann durch die Zusammenstellung von Veranstaltungsprogramm
und Katalogbeiträgen, bei "Inscribing the
Temporal" waren es das in der Ausstellung zugängliche
Archiv sowie die aus dem Symposion generierten Texte.
Das Archiv, grundsätzlich eine Einrichtung, die
Wissen bewahrt und Weltordnungen demonstriert, scheint
wie bei anderen ephemeren Kunstformen (Performance,
Aktionskunst, temporäre Installation) auch hier
klar Puzzlestein einer diskursiven Verortung zu sein.
Das Archiv in der Kunsthalle Exnergasse, das Mappen,
Videos und CD-Roms sowie Publikationen zu 39 Wiener
Initiativen, Kunstprojekten und Publikationen plus Informationen
zu den beteiligten New Yorker Initiativen versammelt,
wird nach Ende der Ausstellung in der Kunsthalle Exnergasse
auf Anfrage weiterhin nutzbar sein. Wie bei einem bibliothekarischen
Handapparat stellt sich allerdings die Frage nach Aktualisierung,
Verflechtung mit anderen Archiven, insgesamt danach,
das Archiv in einem öffentlichen Bewusstsein zu
halten.
Die in der Ausstellung präsentierten Dokumentationen
und künstlerischen Arbeiten wurden aus fünf
laufenden Projekten ausgewählt: "16 Beaver"
ist der Name eines von KünstlerInnen getragenen
Raums für Präsentationen und Diskussion, der
sich in Form eines Konglomerats von Souvenirs, Videotapes,
Flyers und Informationsmaterial vorstellte. Aus dem
"Brewster Project", einem jährlich in
der Stadt Brewster stattfindenden ortsbezogenen Kunstereignis
wurden drei Arbeiten für die Wiener Ausstellung
adaptiert bzw. neu aufgebaut: Stephen Apicella-Hitchcocks
mit Ausschnitten aus dem Soundtrack zu Apocalypse Now
unterlegtes Video vom Walk nach Brewster, Mathew Buckinhams
Videoinstallation "Reading Public Meaning",
Tara Francalossis unberührbares Archiv kategorisierter
Fotoansichten ihres Lebensumfelds, Jennifer und Kevin
McCoys Vitrinenobjekt "Bandrider Series: Jennifer
Lopez", das die für Lopez backstage bereitgestellten
Waren offenlegt und Austin Thomas´ "Social
Labels" für Vernissagen-Bierflaschen. Das
Kunstmagazin "Cabinet" präsentierte sich
mit Ausgaben und Editionen, aus der "Tugboat Film
and Videoseries", einem Filmprogramm, das regelmäßig
an den Quais von New York wasserthematische Screenings
und Soundinstallationen zeigt, stammte der Film "dolce
e calmo" der FilmemacherInnen-Gruppe AFAME. Kunst
als Bildungsoffensive und Public Art im klassischen
Sinn zeigte die dokumentarische Installation des "Center
for Urban Pedagogy" (CUP), das über Kurse
und Veranstaltungen Bewusstsein und Mitbestimmungsmöglichkeiten
der New Yorker BürgerInnen für Stadtplanungsprozesse
aktivieren will.
Wo aber die Brüche in der Übertragung in
den Ausstellungsraum sind, bleibt - wie auch bei "Geografie"
- vage. Der Raum wird mit Videos, Papier auf Wand-Arbeiten,
Installationen und Dokumentationsmaterial, das die Nähe
zum Relikt nicht immer scheut, bespielt, als wäre
dadurch eine Brücke zu schlagen. Die alte Frauge
"is a special conceptualisation of the position
of publikum/audience/recipients part of your project?",
die sich im republicart-Fragebogen an die teilnehmenden
KünstlerInnen wiederfindet, hat in diesem Fall
eine zweifache Bedeutung. Sie scheint bei der Findung
eines roten Fadens durch die Spielarten prozessorientierter
Kunst wichtig wie auch für die Möglichkeiten,
diesen Kunstformen eine Geschichtsschreibung zu geben.
Literatur
Marius Babias, Ware Subjektivität, Eine Theorie
Novelle, Verlag Silke Schreiber, München 2002,
Kokerei Zollverein Essen
Stella Rollig, Zwischen Agitation und Animation. Aktivismus
und Partizipation in der Kunst des 20. Jahrhunderts,
in: Stella Rollig/Eva Sturm (Hg.), Dürfen die das?
Kunst als sozialer Raum, Turia + Kant 2002
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