Die Ausstellung Mons Veneris: Female
Geographies am Austrian Cultural Forum London führte
mich im Zusammenhang mit "Inscribing the Temporal"
zu Fragen über Einschreibungsprozesse von feministischen
und lesbischen Kunstpraxen in traditionelle Kunstinstitutionen.
Mons
Veneris: Female Geographies
Das Austrian Cultural
Forum (ACF) London löste das Problem der fehlenden Kontakte
zu KünstlerInnen und der Londoner Kunstszene mit "Outsourcing":
1998 wurde das Visual Arts Programm (VAP)
(http://www.austria.org.uk/art/)
initiiert, dafür ein eigener Galerieraum im ACF geschaffen
und ein Londoner Freelance-Kurator, Anthony Auerbach
(http://dspace.dial.pipex.com/auerbach/vargas/),
mit der Programmerstellung beauftragt. Durch Zusammenarbeit
und Dialog zwischen Individuen und Organisationen,
KünstlerInnen-Initiativen und internationalen Kooperationen
sollte ein herausfordernder und stimulierender Kontext
für eine breite Palette zeitgenössischer Praxen geschaffen
werden. Dieser Anspruch wurde in der Zeit von 1999
bis 2002 durch Ausstellungen, Artist in Residency-Programme,
Performances, Vorträge und öffentliche Diskussionen
mit KünstlerInnen, ArchitektInnen, KuratorInnen und
KritikerInnen aus Österreich, Großbritannien, Tschechei,
Ungarn, Kroatien, Russland und anderen Ländern realisiert.
Die Ausstellung Mons
Veneris: Female Geographies fand im Rahmen des VAP
am ACF London statt. Anthony Auerbach lud mich ein,
ein Projekt gemeinsam während meines Aufenthalts als
Stipendiatin am ACF London (Mai bis Dezember 2002) zu
realisieren.
Das
Herbstprogramm des ACF stand unter dem Motto "Highly
Inspired: A Cultural Season for the Year of the
Mountains". Dabei ging es
primär um die Vermittlung von traditionellen österreichischen
Werten in der Film- und Kulturlandschaft. Die
Einladungen zu Gesprächen in der Reihe "Face to
Face" (eine vom ACF selbst initiierte Reihe), um
das "Land der Berge" dem Londoner Publikum näher
zu bringen, ergingen zu 100 Prozent an Männer, also an
das "Land der Söhne".
Vor diesem
Hintergrund erschien es notwendig, den Frauenanteil an
der "Cultural Season for the Year of the
Mountains" zu erhöhen sowie die kulturellen
Aspekte der Berge von einem feministischen und identitätspolitischen
Standpunkt zu behandeln.
Mons Veneris:
Female Geographies war eine
Expedition in transsexuelle Geographien, Grenzgebiete,
Räume von Konflikten und Isolation, an strategische
Orte, Plätze, an denen Identitäten fragmentiert und
überlappend auftreten. Gezeigt wurden Werke von 21 Künstlerinnen
aus Estland, Großbritannien, Holland, Kroatien, Schweiz,
Serbien, Slowakei, Ungarn, USA und Österreich, in denen
Identitäten fortwährend hinterfragbare Fragmente darstellen,
Begehren sich dem Erhabenen entzieht und Grenzen – wie
jene zwischen Kunst und Pornographie – nicht einfach
zu ziehen sind. Die Ausstellung widmete sich den Themenkomplexen
der weiblicher Sexualität, des weiblichen Begehrens
und der Politik des Privaten, ohne dabei trockene Politik
und kuratorische Didaktik zum Status Quo erheben zu
wollen. Mons Veneris: Female Geographies versuchte
einen Querschnitt unterschiedlicher feministischer Positionen
und ästhetischen Strategien seit den 70er Jahren zu
zeigen, in denen Künstlerinnen sich der weiblichen Sexualität
mit Provokation, Witz und Ironie, Kritik und Widerstand
bemächtigen. (http://www.austria.org.uk/art/archive/mons_veneris/
mons_veneris.html)
Zur Ausstellung ist
im Rahmen der halbjährlich erscheinenden Zeitschrift
Female Sequences eine zweisprachige (englisch/deutsch)
Sonderausgabe geplant. Künstlerinnen, Kuratorinnen und
Theoretikerinnen werden eingeladen, Beiträge zu verfassen
und Seiten künstlerisch zu gestalten. Dieses Sonderheft
soll eine Diskussion und Reflexion künstlerischer Praxen
und ästhetischer Strategien aus postkommunistischen
Ländern und dem Westen fördern und eine Vernetzung von
feministischen und antirassistischen Diskursen, die
vor allem im so genannten "ehemaligen Osten"
außerhalb der Institutionen stattfinden, sichtbar machen
und forcieren.
Female Sequences,
1999 gegründet, versteht sich als Teil kritischer Öffentlichkeiten
ohne für sich in Anspruch zu nehmen, alles von einem
wertneutralen Standpunkt zu sehen. Vielmehr erscheint es
wesentlich, einen "Blick von unten" und
demnach eine günstigere Position einzunehmen, um ein
angemesseneres Bild der gesellschaftlichen Realität
von Frauen/Lesben/Migrantinnen zu vermitteln. Gemeinsam
mit anderen Feministinnen treten wir für eine
feministische, antirassistische Theorie und Praxis ein,
die Anfechtung und Einmischung, Dekonstruktion und
Konstruktion miteinander in Verbindung bringt.
Female Sequences
ist ein außerinstitutionelles und autonomes
Heftprojekt, das keinerlei eigene Infrastruktur oder
ökonomische Ressourcen besitzt, mit unregelmäßigem,
aber doch halbjährlichem Erscheinen der Zeitschrift .
Die beteiligten Frauen – von der Redaktion über die
Autorinnen bis hin zum Layout – arbeiten ehrenamtlich
und unbezahlt. Die letzte Ausgabe erschien im Herbst
2002 und wurde von Doris Hana, Sabine Potuschak,
Rosemarie Reitsamer und Sabine Treude produziert.
Vom Objekt zum
Subjet
War in den 70ern
der Begriff "Frau" im Zusammenhang mit Kunst
beinahe revolutionär, folgte in den 80ern mit der
Projekte-Bewegung eine Ausdifferenzierung von Inhalten
in frauenspezifischen Kontexten und es entstanden
Institutionen wie Frauenmuseen. Heute scheinen
frauenspezifische Ausstellungen kaum noch von Interesse
und gesellschaftlicher Notwendigkeit. Nicht zuletzt
lehnen Künstlerinnen immer wieder frauenspezifische
Ausstellungen ab, um einer Marginalisierung unter dem
Label "Frauenkunst" zu entkommen.
Vor mehr als dreißig
Jahren stellte Valie Export fest: "das problem
der frauenemanzipation, der schritt vom objekt einer
kultur zum subjekt, (...) (ist) stark mit dem Problem
der Sexualität verknüpft, das der Mann auf ‚seine’ Weise
gelöst hat (...)." (1)
Die Disziplinierung
der Sexualität trägt wesentlich zur Aufrechterhaltung
und Normierung gesellschaftlicher Strukturen bei.
"Abweichende" Sexualitäten stellen nach wie
vor eine Bedrohung der heterosexuellen Ordnung dar und
"Lesbian chic" in den visuellen Künsten –
und nicht nur dort – scheint mehr über heterosexuelle
Ängste und die Domestizierung von "gefährlichem"
Begehren auszusagen als über dessen Gleichheit.
Homosexuelle künstlerische Auseinandersetzungen werden
– je nach Geschlecht – unterschiedlich rezipiert,
wobei eine Hierarchisierung zugunsten schwuler Künstler
feststellbar ist. Seit dem frühen 19. Jahrhundert ist
in einigen Künstlerdiskursen das scheinbare Paradox zu
beobachten, dass Künstler mit traditionell
"weiblich" konnotierten Charakterisierungen
wie z.B. der Hysteriker, der Dandy und der Transvistit
beschrieben werden. Das führte allerdings nicht zu
einer Abwertung ihrer Kreativität, sondern gewährte
ihnen eine offenere Strukturierung und Gestaltung von
Begehren und den darin zugewiesenen Positionen, also
auch Homosexualität, Rollentausch und Cross-Dressing.
Arbeiten, die lesbische Sexualität, Identität und
Begehren thematisieren finden sich in der traditionellen
Kunstrezeption kaum.
Der Begriff "queer"
ist mehr als ein Analyseinstrument gesellschaftlicher
Strukturen und eine radikale Haltung. Ein "queering"
der Kunstwelt und künstlerischer Praxen bedeutet, eine
Vielzahl unterschiedlicher Rahmenbedingungen zu kontextualisieren
und kann nur dann eine Wirkung erzielen, wenn sich "queere"
künstlerische Praxen und ästhetische Strategien zunehmend
ausbreiten und ihre radikalen Randpositionen verlassen
werden. Junge lesbische Künstlerinnen waren und sind
als "lesbisches Spektakel" innerhalb traditioneller
Kunstinstitutionen immer wieder willkommen. Sie werden
für kurze Zeit sichtbar in den Mainstream-Medien, wenn
sie versuchen "to ‚outqueer’ each other, deny our
creative histories and feed into the art market and
a conservative, xenophobic political agenda. (This)
commodifying is a violent dynamic that other groups
who have been first marginalized and then rediscovers
on the basis of their difference have had to negotiate."
(2)
Anmerkungen zu Öffentlichkeiten
und "community art"
Künstlerische Praxen
so genannter "marginalisierter Gesellschaftsgruppen",
werden unter dem Label der "community art"
in den Kunstbetrieb eingeschrieben. Durch diesen Prozess
erscheinen ihre Identitäten als fix und undurchlässig,
zwangsläufig radikale Randpositionen einnehmend, die
durch statische Grenzen getrennt sind. Die Künstlerinnen
werden zu "Botschafterinnen exotischer Kulturen"
(Rubia Salgado), die je nach Bedürfnis von Kunstinstitutionen
in- und exkludiert werden. Nach den Ein- und damit einhergehenden
Festschreibungsprozessen erwartet der Kunstmarkt von
den unter "community art" kategorisierten
Individuen eine Auseinandersetzung mit ihrer Identität.
"When
you are a black woman artist, everyone expects that
you deal in your work with your identity as a black
woman artist and that’s probably the only way to survive
in the art market." (3)
Es genügt also nicht,
künstlerische Praxen so genannter "Communities"
mit identitätspolitischen Begriffen zeitweise und beliebig
in traditionelle Kunstinstitutionen einzuschreiben oder
ihre zahlenmäßig geringe Präsenz mit Statistiken festzuhalten.
Diese Ansätze greifen zu kurz, indem sie strukturelle
Ursachen aus dem Blick verlieren. Um Verschiebungen
innerhalb der Dominanzkultur des Kunstbetriebes voranzutreiben,
ist es notwendig, dass seitens der Institutionen ein
Bewusstsein über Machtgefälle und Transparenz bei Prozessen
der Entscheidungsfindung zur Basis für Kommunikation
werden. (4) Darüber
hinaus sollen statische Grenzen, die "Kern"
und "Peripherie" trennen, nicht überschritten,
sondern aufgebrochen werden. (5)
Die Anerkennung von Differenz darf nicht zur Festschreibung
von Identität führen, an die Erwartungshaltungen geknüpft
werden.
Der öffentliche Raum
wird durch Kategorien wie Geschlecht, Klasse, Herkunft,
Hautfarbe etc. strukturiert. Sie erlangen ihre Wirkungsmacht
durch Verschränkungen und können demnach nur multiplikativ
und nicht additiv begriffen werden. Um spezifische Zugangsbedingungen
und Ausschlussverfahren zu untersuchen, erscheint es
notwendig, Auslassungen und Leerstellen im Hinblick
auf Repräsentationen zu untersuchen. (6)
Maja Bajevic’
Performances "Women at Work – Under
Construction" (1999) fand an der Fassade der
Kunsthalle von Bosnien-Herzegowina in Sarajewo statt.
Sie war Teil der Ausstellung mit dem Titel "Under
Construction", bei der jede/r KünstlerIn das
Fassadengerüst für einige Tage nutzen konnte.
"Women at Work – Under Construction"
ebenso wie "The Observers" (2000) und "Washing
Up" (2001) thematisieren die Politik der Häuslichkeit,
indem die üblichen weiblichen Tätigkeiten, wiederholt
und monoton im öffentlichen Raum aufgeführt werden.
Sie legen die Aktivitäten offen, mit denen Frauen ihre
Abwesenheit im öffentlichen Raum bewältigen. Bajevic’
spricht von einer "spezifischen weiblichen Art
(...), einen verlorenen Raum zu rekonstruieren".
Das Thema der Abwesenheit ist der Kern ihrer Kunst.
Fehlende Sujets im
öffentlichen Raum und in der Popularkultur sind auch
das Thema des US-amerikanischen Künstlerinnenkollektivs
Dyke Action Machine! DAM! entwickelte sich im Umfeld von
"Queer Nation" Anfang der 90er Jahre mit dem
Ziel "to assert the dignity, pride and human rights
of lesbians and gay men". Konzentrierte sich DAM!
anfänglich auf "Lesbian Chic" und Sujets von
Lesben als Konsumentinnen der Werbeindustrie,
differenzierten sich ihre Strategien in den folgenden
Jahren zunehmend aus. Eine der effektvollsten Kampagnen
war das Filmposter, das den fiktiven Film "Straight
to Hell" bewarb. 5000 Poster wurden 1994 in
Manhattan plakatiert. Sie zeigten eine
afro-amerikanische Lesbe in Militär-Outfit und
Dreadlocks, an ihrer Seite eine asiatische und eine weiße
Frau, bereit, sie in ihrem Vorhaben zu unterstützen:
"She came out ... So the army kicked her out … Now she’s out for blood …" (Postertext)
Die auf dem Plakat angeführte Telefonnummer war ständig
besetzt. Die Leute wollten wissen, wann der Film in den
Kinos anlief.
Mit entlehnten
Stilen und Taktiken aus der Popularkultur stellte das
Poster nicht nur eine Referenz zur US-amerikanischen
Debatte über Homosexuelle in der Army her, sondern
machte auch auf die Leerstelle von lesbischen
Actionfilmen aufmerksam.
In Anbetracht der
kurzsichtigen Geschichtsschreibung, die emanzipative
Kunst im öffentlichen Raum zur Vergangenheit zählt,
erscheinen die beiden erwähnten Projekte als Relikte
der 90er Jahre. Allerdings erübrigen sich dadurch kritische
Fragen hinsichtlich der Dichotomie zwischen Öffentlichkeit
und Privatheit, nach Auslassungen und Leerstellen, also
Fragen von gesellschaftspolitischer Relevanz nicht.
Kunst im öffentlichen Raum bietet Möglichkeiten, kritische
Fragen zu stellen und Konfliktlinien zu erzeugen. Bevor
also aus vorauseilendem Gehorsam ihre Geschichte geschrieben
wird, sollten besser ihre Möglichkeiten genutzt werden.
Literatur:
(1)
Export,
Valie: ex tempore. Katalog: Künstlerinnen
international 1877 – 1977. Berlin
1977
(2)
Hammond, Harmony, In: Smyth, Cherry: Damn Fine Art by
New Lesbian Artists. London 1996
(3)
Ajalon, Jamika: Unveröffentlichtes Interview. London
2002
(4)
vgl. Salgado, Rubia: Dürfen die das? Einige Bemerkungen
aus der Perspektive der Migrantinnen. In: Rollig, Stella
/ Sturm, Eva (Hg.): Dürfen die das? Kunst als sozialer
Raum. Wien
2002
(5)
vgl. Raunig, Gerald: Spacing the Lines. Konflikt
statt Harmonie. Differenz statt Idenität. Struktur statt
Hilfe. In: Rollig, Stella / Sturm, Eva. a.a.O.
(6)
vgl. Marth, Gabriele: Geöffnet von ... bis ... In: Frauenbüro
Wien (Hg.): Der Transparente Raum. Wien 2000
Pejic, Bojana: Fassaden-Werk.
Der Titoismus und die Nachwehen. In: Nierhaus, Irene
/ Konecny, Felicitas (Hg.): räumen. Baupläne zwischen
Raum, Visualität, Geschlecht und Architektur. Wien 2002
Schade, Sigrid /
Wenk, Silke: Inszenierungen des Sehens: Kunst, Geschichte
und Geschlechterdiffernz. In: Bußmann, Hadumod / Hof,
Reante (Hg.): Genus. Zur Geschlechterkonstruktion in
den Kulturwissenschaften. Stuttgart 1995
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