e-mail
 biography

 deutsch

 << Inscribing the Temporal
Rosemarie Reitsamer 03/03
Under Construction: Einschreibungsprozesse feministischer und lesbischer (temporärer) Kunstpraxen
download pdf
 

Die Ausstellung Mons Veneris: Female Geographies am Austrian Cultural Forum London führte mich im Zusammenhang mit "Inscribing the Temporal" zu Fragen über Einschreibungsprozesse von feministischen und lesbischen Kunstpraxen in traditionelle Kunstinstitutionen.

 

Mons Veneris: Female Geographies

Das Austrian Cultural Forum (ACF) London löste das Problem der fehlenden Kontakte zu KünstlerInnen und der Londoner Kunstszene mit "Outsourcing": 1998 wurde das Visual Arts Programm (VAP) (http://www.austria.org.uk/art/) initiiert, dafür ein eigener Galerieraum im ACF geschaffen und ein Londoner Freelance-Kurator, Anthony Auerbach (http://dspace.dial.pipex.com/auerbach/vargas/), mit der Programmerstellung beauftragt. Durch Zusammenarbeit und Dialog zwischen Individuen und Organisationen, KünstlerInnen-Initiativen und internationalen Kooperationen sollte ein herausfordernder und stimulierender Kontext für eine breite Palette zeitgenössischer Praxen geschaffen werden. Dieser Anspruch wurde in der Zeit von 1999 bis 2002 durch Ausstellungen, Artist in Residency-Programme, Performances, Vorträge und öffentliche Diskussionen mit KünstlerInnen, ArchitektInnen, KuratorInnen und KritikerInnen aus Österreich, Großbritannien, Tschechei, Ungarn, Kroatien, Russland und anderen Ländern realisiert.

Die Ausstellung Mons Veneris: Female Geographies fand im Rahmen des VAP am ACF London statt. Anthony Auerbach lud mich ein, ein Projekt gemeinsam während meines Aufenthalts als Stipendiatin am ACF London (Mai bis Dezember 2002) zu realisieren.

Das Herbstprogramm des ACF stand unter dem Motto "Highly Inspired: A Cultural Season for the Year of the Mountains". Dabei ging es primär um die Vermittlung von traditionellen österreichischen Werten in der Film- und Kulturlandschaft. Die Einladungen zu Gesprächen in der Reihe "Face to Face" (eine vom ACF selbst initiierte Reihe), um das "Land der Berge" dem Londoner Publikum näher zu bringen, ergingen zu 100 Prozent an Männer, also an das "Land der Söhne".

Vor diesem Hintergrund erschien es notwendig, den Frauenanteil an der "Cultural Season for the Year of the Mountains" zu erhöhen sowie die kulturellen Aspekte der Berge von einem feministischen und identitätspolitischen Standpunkt zu behandeln.

Mons Veneris: Female Geographies war eine Expedition in transsexuelle Geographien, Grenzgebiete, Räume von Konflikten und Isolation, an strategische Orte, Plätze, an denen Identitäten fragmentiert und überlappend auftreten. Gezeigt wurden Werke von 21 Künstlerinnen aus Estland, Großbritannien, Holland, Kroatien, Schweiz, Serbien, Slowakei, Ungarn, USA und Österreich, in denen Identitäten fortwährend hinterfragbare Fragmente darstellen, Begehren sich dem Erhabenen entzieht und Grenzen – wie jene zwischen Kunst und Pornographie – nicht einfach zu ziehen sind. Die Ausstellung widmete sich den Themenkomplexen der weiblicher Sexualität, des weiblichen Begehrens und der Politik des Privaten, ohne dabei trockene Politik und kuratorische Didaktik zum Status Quo erheben zu wollen. Mons Veneris: Female Geographies versuchte einen Querschnitt unterschiedlicher feministischer Positionen und ästhetischen Strategien seit den 70er Jahren zu zeigen, in denen Künstlerinnen sich der weiblichen Sexualität mit Provokation, Witz und Ironie, Kritik und Widerstand bemächtigen. (http://www.austria.org.uk/art/archive/mons_veneris/
mons_veneris.html
)

Zur Ausstellung ist im Rahmen der halbjährlich erscheinenden Zeitschrift Female Sequences eine zweisprachige (englisch/deutsch) Sonderausgabe geplant. Künstlerinnen, Kuratorinnen und Theoretikerinnen werden eingeladen, Beiträge zu verfassen und Seiten künstlerisch zu gestalten. Dieses Sonderheft soll eine Diskussion und Reflexion künstlerischer Praxen und ästhetischer Strategien aus postkommunistischen Ländern und dem Westen fördern und eine Vernetzung von feministischen und antirassistischen Diskursen, die vor allem im so genannten "ehemaligen Osten" außerhalb der Institutionen stattfinden, sichtbar machen und forcieren.

Female Sequences, 1999 gegründet, versteht sich als Teil kritischer Öffentlichkeiten ohne für sich in Anspruch zu nehmen, alles von einem wertneutralen Standpunkt zu sehen. Vielmehr erscheint es wesentlich, einen "Blick von unten" und demnach eine günstigere Position einzunehmen, um ein angemesseneres Bild der gesellschaftlichen Realität von Frauen/Lesben/Migrantinnen zu vermitteln. Gemeinsam mit anderen Feministinnen treten wir für eine feministische, antirassistische Theorie und Praxis ein, die Anfechtung und Einmischung, Dekonstruktion und Konstruktion miteinander in Verbindung bringt.

Female Sequences ist ein außerinstitutionelles und autonomes Heftprojekt, das keinerlei eigene Infrastruktur oder ökonomische Ressourcen besitzt, mit unregelmäßigem, aber doch halbjährlichem Erscheinen der Zeitschrift . Die beteiligten Frauen – von der Redaktion über die Autorinnen bis hin zum Layout – arbeiten ehrenamtlich und unbezahlt. Die letzte Ausgabe erschien im Herbst 2002 und wurde von Doris Hana, Sabine Potuschak, Rosemarie Reitsamer und Sabine Treude produziert.

 

Vom Objekt zum Subjet

War in den 70ern der Begriff "Frau" im Zusammenhang mit Kunst beinahe revolutionär, folgte in den 80ern mit der Projekte-Bewegung eine Ausdifferenzierung von Inhalten in frauenspezifischen Kontexten und es entstanden Institutionen wie Frauenmuseen. Heute scheinen frauenspezifische Ausstellungen kaum noch von Interesse und gesellschaftlicher Notwendigkeit. Nicht zuletzt lehnen Künstlerinnen immer wieder frauenspezifische Ausstellungen ab, um einer Marginalisierung unter dem Label "Frauenkunst" zu entkommen.

Vor mehr als dreißig Jahren stellte Valie Export fest: "das problem der frauenemanzipation, der schritt vom objekt einer kultur zum subjekt, (...) (ist) stark mit dem Problem der Sexualität verknüpft, das der Mann auf ‚seine’ Weise gelöst hat (...)." (1)

Die Disziplinierung der Sexualität trägt wesentlich zur Aufrechterhaltung und Normierung gesellschaftlicher Strukturen bei. "Abweichende" Sexualitäten stellen nach wie vor eine Bedrohung der heterosexuellen Ordnung dar und "Lesbian chic" in den visuellen Künsten – und nicht nur dort – scheint mehr über heterosexuelle Ängste und die Domestizierung von "gefährlichem" Begehren auszusagen als über dessen Gleichheit. Homosexuelle künstlerische Auseinandersetzungen werden – je nach Geschlecht – unterschiedlich rezipiert, wobei eine Hierarchisierung zugunsten schwuler Künstler feststellbar ist. Seit dem frühen 19. Jahrhundert ist in einigen Künstlerdiskursen das scheinbare Paradox zu beobachten, dass Künstler mit traditionell "weiblich" konnotierten Charakterisierungen wie z.B. der Hysteriker, der Dandy und der Transvistit beschrieben werden. Das führte allerdings nicht zu einer Abwertung ihrer Kreativität, sondern gewährte ihnen eine offenere Strukturierung und Gestaltung von Begehren und den darin zugewiesenen Positionen, also auch Homosexualität, Rollentausch und Cross-Dressing. Arbeiten, die lesbische Sexualität, Identität und Begehren thematisieren finden sich in der traditionellen Kunstrezeption kaum.

Der Begriff "queer" ist mehr als ein Analyseinstrument gesellschaftlicher Strukturen und eine radikale Haltung. Ein "queering" der Kunstwelt und künstlerischer Praxen bedeutet, eine Vielzahl unterschiedlicher Rahmenbedingungen zu kontextualisieren und kann nur dann eine Wirkung erzielen, wenn sich "queere" künstlerische Praxen und ästhetische Strategien zunehmend ausbreiten und ihre radikalen Randpositionen verlassen werden. Junge lesbische Künstlerinnen waren und sind als "lesbisches Spektakel" innerhalb traditioneller Kunstinstitutionen immer wieder willkommen. Sie werden für kurze Zeit sichtbar in den Mainstream-Medien, wenn sie versuchen "to ‚outqueer’ each other, deny our creative histories and feed into the art market and a conservative, xenophobic political agenda. (This) commodifying is a violent dynamic that other groups who have been first marginalized and then rediscovers on the basis of their difference have had to negotiate." (2)

 

Anmerkungen zu Öffentlichkeiten und "community art"

Künstlerische Praxen so genannter "marginalisierter Gesellschaftsgruppen", werden unter dem Label der "community art" in den Kunstbetrieb eingeschrieben. Durch diesen Prozess erscheinen ihre Identitäten als fix und undurchlässig, zwangsläufig radikale Randpositionen einnehmend, die durch statische Grenzen getrennt sind. Die Künstlerinnen werden zu "Botschafterinnen exotischer Kulturen" (Rubia Salgado), die je nach Bedürfnis von Kunstinstitutionen in- und exkludiert werden. Nach den Ein- und damit einhergehenden Festschreibungsprozessen erwartet der Kunstmarkt von den unter "community art" kategorisierten Individuen eine Auseinandersetzung mit ihrer Identität. "When you are a black woman artist, everyone expects that you deal in your work with your identity as a black woman artist and that’s probably the only way to survive in the art market." (3)

Es genügt also nicht, künstlerische Praxen so genannter "Communities" mit identitätspolitischen Begriffen zeitweise und beliebig in traditionelle Kunstinstitutionen einzuschreiben oder ihre zahlenmäßig geringe Präsenz mit Statistiken festzuhalten. Diese Ansätze greifen zu kurz, indem sie strukturelle Ursachen aus dem Blick verlieren. Um Verschiebungen innerhalb der Dominanzkultur des Kunstbetriebes voranzutreiben, ist es notwendig, dass seitens der Institutionen ein Bewusstsein über Machtgefälle und Transparenz bei Prozessen der Entscheidungsfindung zur Basis für Kommunikation werden. (4) Darüber hinaus sollen statische Grenzen, die "Kern" und "Peripherie" trennen, nicht überschritten, sondern aufgebrochen werden. (5) Die Anerkennung von Differenz darf nicht zur Festschreibung von Identität führen, an die Erwartungshaltungen geknüpft werden.

Der öffentliche Raum wird durch Kategorien wie Geschlecht, Klasse, Herkunft, Hautfarbe etc. strukturiert. Sie erlangen ihre Wirkungsmacht durch Verschränkungen und können demnach nur multiplikativ und nicht additiv begriffen werden. Um spezifische Zugangsbedingungen und Ausschlussverfahren zu untersuchen, erscheint es notwendig, Auslassungen und Leerstellen im Hinblick auf Repräsentationen zu untersuchen. (6)

Maja Bajevic’ Performances "Women at Work – Under Construction" (1999) fand an der Fassade der Kunsthalle von Bosnien-Herzegowina in Sarajewo statt. Sie war Teil der Ausstellung mit dem Titel "Under Construction", bei der jede/r KünstlerIn das Fassadengerüst für einige Tage nutzen konnte.  "Women at Work – Under Construction" ebenso wie "The Observers" (2000) und "Washing Up" (2001) thematisieren die Politik der Häuslichkeit, indem die üblichen weiblichen Tätigkeiten, wiederholt und monoton im öffentlichen Raum aufgeführt werden. Sie legen die Aktivitäten offen, mit denen Frauen ihre Abwesenheit im öffentlichen Raum bewältigen. Bajevic’ spricht von einer "spezifischen weiblichen Art (...), einen verlorenen Raum zu rekonstruieren". Das Thema der Abwesenheit ist der Kern ihrer Kunst.

Fehlende Sujets im öffentlichen Raum und in der Popularkultur sind auch das Thema des US-amerikanischen Künstlerinnenkollektivs Dyke Action Machine! DAM! entwickelte sich im Umfeld von "Queer Nation" Anfang der 90er Jahre mit dem Ziel "to assert the dignity, pride and human rights of lesbians and gay men". Konzentrierte sich DAM! anfänglich auf "Lesbian Chic" und Sujets von Lesben als Konsumentinnen der Werbeindustrie, differenzierten sich ihre Strategien in den folgenden Jahren zunehmend aus. Eine der effektvollsten Kampagnen war das Filmposter, das den fiktiven Film "Straight to Hell" bewarb. 5000 Poster wurden 1994 in Manhattan plakatiert. Sie zeigten eine afro-amerikanische Lesbe in Militär-Outfit und Dreadlocks, an ihrer Seite eine asiatische und eine weiße Frau, bereit, sie in ihrem Vorhaben zu unterstützen: "She came out ... So the army kicked her out … Now she’s out for blood …" (Postertext) Die auf dem Plakat angeführte Telefonnummer war ständig besetzt. Die Leute wollten wissen, wann der Film in den Kinos anlief.

Mit entlehnten Stilen und Taktiken aus der Popularkultur stellte das Poster nicht nur eine Referenz zur US-amerikanischen Debatte über Homosexuelle in der Army her, sondern machte auch auf die Leerstelle von lesbischen Actionfilmen aufmerksam.

In Anbetracht der kurzsichtigen Geschichtsschreibung, die emanzipative Kunst im öffentlichen Raum zur Vergangenheit zählt, erscheinen die beiden erwähnten Projekte als Relikte der 90er Jahre. Allerdings erübrigen sich dadurch kritische Fragen hinsichtlich der Dichotomie zwischen Öffentlichkeit und Privatheit, nach Auslassungen und Leerstellen, also Fragen von gesellschaftspolitischer Relevanz nicht. Kunst im öffentlichen Raum bietet Möglichkeiten, kritische Fragen zu stellen und Konfliktlinien zu erzeugen. Bevor also aus vorauseilendem Gehorsam ihre Geschichte geschrieben wird, sollten besser ihre Möglichkeiten genutzt werden.

 

Literatur:

(1)   Export, Valie: ex tempore. Katalog: Künstlerinnen international 1877 – 1977. Berlin 1977

(2) Hammond, Harmony, In: Smyth, Cherry: Damn Fine Art by New Lesbian Artists. London 1996

(3) Ajalon, Jamika: Unveröffentlichtes Interview. London 2002

(4) vgl. Salgado, Rubia: Dürfen die das? Einige Bemerkungen aus der Perspektive der Migrantinnen. In: Rollig, Stella / Sturm, Eva (Hg.): Dürfen die das? Kunst als sozialer Raum. Wien 2002

(5) vgl. Raunig, Gerald: Spacing the Lines. Konflikt statt Harmonie. Differenz statt Idenität. Struktur statt Hilfe. In: Rollig, Stella / Sturm, Eva. a.a.O.

(6) vgl. Marth, Gabriele: Geöffnet von ... bis ... In: Frauenbüro Wien (Hg.): Der Transparente Raum. Wien 2000

Pejic, Bojana: Fassaden-Werk. Der Titoismus und die Nachwehen. In: Nierhaus, Irene / Konecny, Felicitas (Hg.): räumen. Baupläne zwischen Raum, Visualität, Geschlecht und Architektur. Wien 2002

Schade, Sigrid / Wenk, Silke: Inszenierungen des Sehens: Kunst, Geschichte und Geschlechterdiffernz. In: Bußmann, Hadumod / Hof, Reante (Hg.): Genus. Zur Geschlechterkonstruktion in den Kulturwissenschaften. Stuttgart 1995

top

 
All Contents with indicated Authors © by the Authors,
all other Contents © 2002-2004 by www.republicart.net
contact @eipcp.net
EIPCP multilingual webjournal ISSN 1811 - 1696