raimund
minichbauer: gabarage,
das erste der beiden interventions-projekte, wurde
im winter 2002/2003 durchgeführt und zielte darauf ab,
eine struktur zu schaffen, in der ehemalige drogenabhängige
nach einer langzeittherapie über sinnvolle, kreative und
praktische arbeit zugang zum ersten arbeitsmarkt finden
können. eingerichtet wurde eine werkstatt zum 'upcycling'
ausgedienter oder fehlerhafter waren. wochenklausur hat
sich schon 1998 in einem projekt mit upcycling beschäftigt.
was ist die grundidee des upcyclings und wie wurde sie
in dem projekt 1998 umgesetzt?
wolfgang
zinggl: die
idee des upcyclings beruht im wesentlichen darauf, gegenstände,
die aus dem warenkreislauf herausgenommen wurden, aber
nicht unbedingt fehlerhaft sind, wieder zurückzuführen,
und zwar für einen veränderten zweck. wenn beispielsweise
verkehrsampeln erneuert werden, weil sie nicht dem letzten
stand der technik entsprechen, sind die alten verkehrsampeln
eigentlich noch tauglich, werden aber in der regel weggeworfen.
die idee des upcyclings beruht darauf, diese eigentlich
noch halbwegs funktionstüchtigen gegenstände einem neuen
verwendungszweck zuzuführen. wir haben zum beispiel -
um auf gabarage zu kommen - aus den linsen dieser
ampeln vasen gebaut. das waren wertvolle materialien,
die ansonsten weggeworfen worden wären. beim projekt 1998
in linz war die grundintention, designer/innen über eine
agentur mit ihren ideen zum upcycling an firmen weiter
zu vermitteln, insbesondere an solche firmen, die regelmäßig
mit größeren mengen an ausschusswaren aus dem produktionsprozess
konfrontiert sind. ein beispiel sind fehlerhafte dosen
von einer getränkefirma - wenn da nur ein ganz kleiner
fehler vorliegt, wird das möglicherweise gleich tausendfach
falsch gepresst. das projekt in linz wurde am ende einer
agentur übergeben, die sich der sache kontinuierlich annehmen
hätte sollen. soviel ich weiß, ist nur kurzfristig - ich
glaube, ein jahr ungefähr - wirklich positiv und erfolgreich
damit gearbeitet worden, und dann ist das so nach und
nach eingeschlafen.
raimund
minichbauer: wie
ist jetzt die idee wieder aufgegriffen worden?
wolfgang
zinggl: ich
glaube an diese idee immer wieder und nach wie vor.
wir haben im zusammenhang mit gabarage auch
vielfach die erfahrung gemacht, dass es unzählige solcher
materialien gibt. was allein von der stadt wien - im
verkehrswesen und darüber hinaus - an lampen und kleinteilen
entsorgt wird, die völlig funktionisfähig sind, gibt
einfach anlass zu überlegen, wie man diese materialien
systematisch zurückführen kann. ich weiß vom anton proksch
institut, das die werkstatt gabarage jetzt betreibt,
dass es überhaupt kein problem ist, an material heranzukommen.
einige anrufe bei verschiedenen firmen genügen, und
schon findet sich massenweise material, das mit dem
lkw abgeholt werden kann. mit etwas mehr finanzinvestitionsmöglichkeiten
betrieben, könnte glaube ich mit dieser idee auch noch
etwas größeres aufgezogen werden.
raimund
minichbauer: wie
ist der aspekt der beruflichen qualifikation konzipiert?
wird vor allem darauf abgezielt, dass die leute unabhängig
von gabarage die upcycling-idee weiter betreiben?
wolfgang
zinggl: nein.
die vorteile für diejenigen, die dort angestellt sind,
lassen sich leicht zusammenfassen: erstens ist es eine
bezahlte beschäftigung; sie sind also nicht arbeitslos
und kommen in den anspruch auf arbeitslosengeld danach
- was ja nach der therapie nicht gegeben ist. zweitens
macht ihnen die arbeit spaß, weil sie ständig neue ideen
entwickeln und experimentieren können, auch relativ
wenig stress haben. das ist also eine tätigkeit, bei
der arbeit mit lust verbunden ist und sinn hat. drittens:
sie können, sobald sie in der gabarage aufhören
- das ist ja nicht auf ewig gedacht, es gibt ja immer
leute, die nachrücken wollen -, bei firmen bzw. bei
leuten, die in ähnlicher weise arbeiten, gut andocken.
das ist jetzt nach kurzer zeit auch schon zwei leuten
gelungen.
raimund
minichbauer: das
projekt ist grundsätzlich durch eine förderung aus dem
programm equal finanziert. ist es längerfristig
gesichert?
wolfgang
zinggl: die
finanzierung ist jetzt noch für zwei jahre gesichert,
wobei das modell so angelegt ist, dass die equal-förderung
immer geringer wird und ein immer größerer anteil selbst
erwirtschaftet werden muss. alle hoffen, dass sich das
projekt danach selbst trägt. ich weiß nicht, ob das
möglich sein wird. wir werden sehen.
raimund
minichbauer: wochenklausur
arbeitet in den projekten normalerweise mit kunstinstitutionen
zusammen. das war in dem fall nicht so. ist die wochenklausur
hier erstmals von diesem prinzip abgewichen? wie sind
die erfahrungen damit?
wolfgang
zinggl: ja.
das ist das erste mal. die wochenklausur braucht diese
kunstinstitutionen auch, um sich im feld der kunst weiterhin
zu etablieren und zu behaupten. sobald die wochenklausur
etwa von einer sozialinstitution oder von einer großen
firma eingeladen würde, wäre es relativ leicht für leute,
die nicht ganz verstehen, was daran kunst sein sollte,
diese intention in den sozialbereich oder in den bereich
des supervisings/managements abzuschieben. daher haben
wir gesagt: schon allein deshalb, weil uns immer kunstinstitution
einladen, ist das kunst, weil kunstinstitutionen künstler/innen
einladen und keine sozialarbeiter/innen oder produktmanager/innen.
in wien haben wir jetzt eine ausnahme gemacht, aus der
überlegung heraus, dass die wochenklausur in wien einfach
insbesondere im feld der kunst schon so profiliert ist,
dass wir diese kontinuität nicht mehr brauchen,
was sich auch als richtig herausgestellt hat.
raimund
minichbauer: hat
das abgesehen von dieser frage auch auswirkungen
auf die arbeitsteilung, dass dann z.b. das anton proksch
institut grundsätzlich das projekt organisiert und die
wochenklausur dann nur noch für den 'kunstpart' zuständig
wäre?
wolfgang
zinggl: diese
arbeitsteilung hat es nicht gegeben. wir haben von der
anmietung eines objekts, suche eines werkstättenleiters,
umbau des lokals, beschaffung der materialien, mediale
absicherung und insgesamt medien-/öffentlichkeitsarbeit
etc. alles wie bei den anderen projekten auch gemacht.
ich bin z.b. auch selbst auf der leiter gestanden und
habe ausgemalt. wir haben das projekt dann übergeben,
und danach lassen wir immer die institutionen, die es
weiterhin betreuen, völlig autonom arbeiten. das hat
manchmal positives und erfolg, und manchmal geht es
zumindest partiell in eine falsche richtung. das muss
man akzeptieren. das ist so wie bei eltern, die ihre
kinder irgendwann einmal selbst entscheiden lassen,
welchen weg sie gehen, und dann vielleicht nicht ganz
zufrieden sind damit. und es ist in dem fall auch so,
dass wir nicht so ganz begeistert sind damit, wie jetzt
gearbeitet wird.
raimund
minichbauer: das
zweite projekt, die intervention
zur animation gesitig behinderter
wurde im april/mai 2003 durchgeführt. zielgruppe sind
vor allem ältere geistig behinderte menschen, deren
fähigkeiten und begabungen wenig gefördert werden. das
projekt zielt darauf ab, eine kommunikative, motivierende
umgebung und beschäftigung zu schaffen, um diese defizite
abzuschwächen. konkret erarbeitet hat wochenklausur
ein jahresprogramm für die bewohner/innen des pflegezentrums
in kainbach, 20km von graz entfernt. wie ist diese projektidee
entstanden? war sie von beginn an mit diesem einen pflegezentrum
verknüpft?
wolfgang
zinggl: wir
wurden eingeladen, ein projekt zu erarbeiten im zusammenhang
mit der betreuung von behinderten. nach den ersten recherchen
war zu erkennen, dass es für geistig behinderte weniger
angebote gibt als für körperbehinderte, und dass es
bei der betreuung von geistig behinderten so etwas wie
eine altersgrenze gibt, bei 35-40 jahren. Danach strengen
sich die Institutionen nicht mehr besonders an. wir
hatten mit allen einschlägigen institutionen in Graz
kontakt aufgenommen und gespräche geführt über die
betreuung und darüber, wo die mängel und probleme liegen.
wir hatten den eindruck, dass die angebote allgemein
recht gut sind, aber eines war in allen institutionen
gleich: mit 35, wenn es aus entwicklungspsychologischer
sicht nicht mehr viele perspektiven gibt, werden die
behinderten - um es drastisch zu sagen: abgeschoben
nach kainbach. und zwar fast alle; nur in wenigen einzelfällen
können leute z.b. in häusliche pflege entlassen werden.
in kainbach leben etwa 650 insass/innen, zum größten
teil ältere. es gibt schon ein gewisses angebot, werkstätten,
sport etc., aber wenig im verhältnis zur größe des zentrums.
sehr viele leute machen überhaupt nichts - sie
gehen den gang auf und ab und warten aufs essen, dann
aufs fernsehen, um 19 uhr ist bettruhe, um sechs uhr
früh stehen sie auf, warten aufs frühstück, aufs mittagessen,
abendessen, dann eine stunde fernsehen.. und das jeden
tag. bei so einem rhythmus werden menschen extrem hospitalisiert.
ich glaube wer ohne geistige behinderung dort wohnen
müsste, wäre nach einem jahr geistig behindert. diese
verhältnisse sind keine ausnahmeerscheinung. wenn man
sich die historische entwicklung der betreung von geistig
behinderten ansieht, dann ist natürlich alles viel besser
geworden. immerhin haben es die insass/innen warm, es
ist alles sauber, sie haben zu essen, und sie werden
nicht geschlagen - das muss man schon einmal so
sehen. es gibt eine gewisse entwicklung, die bleibt
meiner meinung nach aber immer noch sehr hinter den
möglichkeiten zurück. das hat natürlich mit den finanzen
zu tun, und mit personen, die sich darum kümmern. -
kurz und gut: wir haben da angesetzt und versucht, etwas
zu entwickeln.
raimund
minichbauer: ich
habe auf der wochenklausur-website zum projekt unter
anderem diese stelle gefunden: "die klienten haben
schwierigkeiten und dürfen sie haben. sie sollen sich
zeit lassen und lediglich mit ihren stärken arbeiten.
sie müssen weder geformt noch konditioniert werden."
habt ihr diese grundhaltungen gemeinsam mit den mitarbeiter/innen
der institution erarbeitet?
wolfgang
zinggl: nein.
einige institutionen verfolgen den pädagogischen ansatz,
dass die behinderten vor allem in jüngeren jahren etwas
dazulernen müssen, in der hoffnung, sich damit einmal
geld zu verdienen oder reintegriert zu werden. der satz,
den du zitiert hast, ist von mir, und ich wollte damit
sagen, dass ich glaube, man sollte es lassen, menschen
die nicht so ticken, wie sich das eine gesellschaft
wünscht, unter allen bedingungen zu "resozialisieren".
diese leute sollen es verdammt nochmal gut haben. punkt.
es steht ihnen zu, ein leben lang in einer gut organisierten
und funktionierenden pension zu verbringen.
raimund
minichbauer: ihr
habt in zusammenarbeit mit verschiedenen vereinen, firmen,
privatpersonen in der umgebung für ein jahr ein programm
erarbeitet, in jeder woche ein programmpunkt. das jahr
ist jetzt im mai abgelaufen, gibt es schon feedback?
wolfgang
zinggl: das
treffen, um sich damit und vor allem mit der frage zu
beschäftigen, wie das programm weitergeführt werden
kann, wurde von der leitung in kainbach verschoben,
weil es gerade terminprobleme gibt. ich habe also noch
keine gesamtinformation, aber ich weiß, dass
einige institutionen, die einen programmpunkt organisiert
haben, gleich am selben tag angeboten haben, das im
nächsten jahr wieder zu machen. also es gibt auf jeden
fall von seiten einiger anbieter die möglichkeit, das
längerfristig zu installieren. das problem ist, wer
die organisation übernehmen wird. das personal in kainbach
ist stark ausgelastet.
raimund
minichbauer: ich
möchte noch auf ein paar allgemeine fragen zur arbeit
der wochenklausur eingehen: ein diskussionspunkt im
zusammenhang mit der arbeit von wochenklausur ist das
verhältnis von reformerischen und fundamentalkritischen
ansätzen. als die wochenklausur 92/93 begonnen hat,
war der kapitalismus gerade ohne kritik- oder gegenbewegungen.
jetzt ist das mit der 'anti-globlaisierungsbewegung'
doch anders geworden. stellt sich die frage, wie reformerische
und fundamentalkritische ansätze vereinbart/koordiniert
werden könnten, jetzt anders, gibt es dafür bessere
voraussetzungen?
wolfgang
zinggl: ich
bin der meinung, die ansätze schließen einander nicht
aus. fundamentalkritik hat es auch 93 gegeben. ich war
nie ein freund des kapitalismus, die frage ist nur:
mit welchen methoden kriegt man was wie hin? und da
hat sich in meiner vorstellung kaum etwas verändert.
ich glaube nicht, dass man - wie das auch in den 70ern,
und auch allgemein in der kunst als überlegung verbreitet
war - mit fundamentalkritik wirklich etwas ändert. fundamentalkritik
kann und soll und muss man äußern, aber sie verändert
relativ wenig. daher denke ich, dass parallel zur kritik
auch die grenzen ausgelotet werden müssen, wie weit
ich selbst in der lage bin, im kleinen etwas zu verbessern.
dabei ist interessant, dass ich z.b. als 16jährige/r
wesentlich weniger möglichkeiten habe als später mit
entsprechender erfahrung, etwas mehr geld und etwas
mehr akzeptanz in der öffentlichkeit. ich hatte also
weniger möglichkeiten, und trotzdem gibt es
möglichkeiten. d.h. ich muss die möglichkeiten, die
ich habe nur nutzen, und muss so weit gehen, als ich
eben gerade kann. dann ist die differenz zwischen dem,
was ich potenziell kann, und dem, was ich wirklich mache,
konstant. ein beispiel: eine 16jährige mittelschülerin,
die lediglich in der lage ist, im rahmen ihres klassenverbandes
ganz bestimmte praktiken ihres klassenvorstandes, z.b.
machistische, zu verändern oder zumindest partiell zu
verändern, leistet von der differenz her aufgrund ihrer
relativ geringen möglichkeiten genauso viel wie ein
amerikanischer präsident oder deutscher bundeskanzler,
der sehr viele möglichkeiten hat, aber diese vielleicht
nicht so ausschöpft, und daher auf einer differenzwerteskala
unter diesem leistungsniveau bleibt. d.h., um auf die
frage nochmal zurückzukommen: die reformen machen wir
alle gemeinsam, und ich bin sehr skeptisch, reformen
nicht zu machen mit dem argument: das gehört vorher
grundsätzlich gelöst. das wäre ein warten auf den sankt
nimmerleinstag.
raimund
minichbauer: wie
ist es der wochenklausur in den jetzt doch über zehn
jahren immer wieder gelungen, nicht in einzelnen problemfelder
hängen zu bleiben, und z.b. zu sagen: das drogenproblem
find ich wirklich wichtig, und jetzt machen wir nur
noch das. haben sich solche fragen gestellt?
wolfgang
zinggl: ja
klar. das ist fast eine art grundsatz der wochenklausur,
dass wir ein und dasselbe problem - es wäre übertrieben
zu sagen: generell - nicht mehr angreifen wollen. das
wechseln des ortes, der aufgaben usw. bringt jedes mal
einen neuen horizont, macht jedes mal neu spaß, ist
jedes mal eine neue herausforderung. das sind die wichtigen
rahmenbedingungen, die etwas wie flexibilität und kreativität
im zusammenhang mit dem spaß, der auch dabei ist, erst
anregen. wenn ich ewig das gleich mache und immer schon
weiß, wie das geht, und da und dort vielleicht eine
kleine innovation stattfindet, dann mag das ja auch
sehr sinnvoll sein, aber es entspricht nicht dem, was
so landläufig unter flexibilität und künstlerischem
verschieben des horizonts verstanden wird. und das
ist ja für mich eine - nicht kunsthistorisch festzumachende,
sondern eher psychologische - unterscheidung zwischen
jemandem, der im künstlerischen feld arbeitet, und jemandem,
der in einen herkömmlichen betrieb eingebunden ist.
dass z.b. selbst bestimmt ist, wann die arbeit beginnt,
was zu tun ist und wie mit dem geld gewirtschaftet werden
soll.
der
ansatz besteht darin, die gleichen sozialpsychologischen
grundbedingungen, wie sie künstler/innen immer hatten,
zu schaffen, in der hoffnung, dass diese flexibilität
und kreativität und dieser innovationsgeist auch bleiben,
um es für etwas einzusetzen, das bis jetzt als nicht
unbedingt tauglich für die kunst angesehen wurde.
raimund
minichbauer: die
projekte sind darauf angelegt, sehr schnell bestimmte
ergebnisse zu erreichen. wie funktioniert das, gleichzeitig
schnell ergebnisse zu erreichen, aber nicht die falschen
wege abkürzt. es ist z.b. wahrscheinlich einfacher,
einen bürgermeister unter druck zu setzen, dass er etwas
macht, als einen basisdemokratischen 'umweg' zu suchen.
gibt es da sozusagen 'grundprinzipien', damit das nicht
passiert?
wolfgang
zinggl: was
wir oft diskutieren in der gruppe, insbesondere schon
bei der aufgabenstellung neuer projekte, ist ein ansatz
- gabarage wäre da ein negatives beispiel -,
zwei fliegen auf einen streich zu erledigen. im fall
von gabarage sind das upcycling und hilfe für
ehemals drogenabhängige. ich versuche bei solchen ideen
immer einzubringen, dass es besser ist, sich auf eine
sache zu konzentrieren und nicht zwei oder drei probleme
gleichzeitig zu übernehmen. das ist eine antwort auf
die frage, die du jetzt gestellt hast. wenn ich gleichzeitig
an der reform der basisdemokratie arbeiten möchte und
ein ja des bürgermeisters für ein konkretes projekt
haben möchte, verbinde ich zwei anliegen miteinander.
das zu erreichen ist allemal schwer. daher muss man
zuerst wissen, was man möchte, und darauf hinarbeiten,
und dann, wenn man es erledigt hat, kann man das andere
problem in angriff nehmen. wenn ich sage: ok, wir wollen,
weil wir dieses projekt zum abschluss bringen wollen,
ein ja des bürgermeisters. dann verzichte ich auf das
zweite anliegen, auf das basisdemokratische. natürlich
muss ich erstens im rahmen der gesetze bleiben, und
zweitens im rahmen des ethischen und darf grenzen nicht
überschreiten. ein anderes beispiel - ich kann nicht
kapitalistische firmen in ihrer verbreitung stoppen,
und daher deren produkte nicht mehr kaufen, und gleichzeitig
mich so halbwegs wohlfühlen und die kraft haben, die
ich brauche, um verbesserungen zu erreichen. wenn ich
z.b. auf alle produkte verzichte und keine produkte
mehr kaufe, die aus betrieben kommen, deren produktions-
und kapitalanhäufung ich ablehne, dann fühle ich mich
einfach nicht mehr wohl und habe auch keine kraft mehr,
irgend etwas anderes zu machen. ich kann also nicht
ständig auf alles, was zu verbessern ist, rücksicht
nehmen, sonst kriege ich nichts mehr hin.
raimund
minichbauer: im
nachhinein betrachtet hätte man aus gabarage
eigentlich zwei projekte machen sollen?
wolfgang
zinggl: nein,
das ist in diesem fall etwas anders. die grundüberlegung
war, etwas für leute zu entwickeln, die aus der drogentherapie
kommen. - wie kann man sie einer sinnvollen beschäftigung
zuführen, ohne dass sie sofort frustriert sind? sie
werden normalerweise an betriebe weitergeleitet, in
denen sie dämliche arbeit machen und nichts bezahlt
bekommen und ausgenutzt werden, bis sie die schnauze
voll haben und sich sagen, das leben hat doch keinen
sinn, und sie wieder zur droge greifen. wenn sie aber
sehen, dass es auch unabhängig von der droge ein leben
gibt, das lebenswert ist, dann könnte das projekt funktionieren.
die richtung, in der wir nach ansätzen gesucht haben,
war naheliegend: was kann spaß machen? etwas kreatives,
wo ich etwas produzieren und dann verkaufen kann. wo
brauche ich kein geld und kann trotzdem etwas tun, das
mir spaß macht? da hat es sich fast automatisch ergeben,
dass wir wieder auf die idee des upcyclings gekommen
sind. aber es wäre drastisch gewesen, wenn man davon
ausgegangen wäre: wir haben das eine problem mit den
ehemaligen drogenabhängigen und wir haben das andere
problem mit materialien, die entsorgt werden, obwohl
sie eigentlich noch tauglich wären. welches projekt
könnte ich machen, um die beiden fragen zusammenzuführen?
das wäre sehr gefährlich, da läge die latte zu hoch.
wie in dem beispiel mit bürgermeister und basisdemokratie.
da muss ich wirklich ein problem bewusst zurückstecken
- und vielleicht auch meine ohrfeigen dafür bekommen,
das ist egal. aber dafür habe ich etwas anderes hingekriegt.
raimund
minichbauer: was
sind die nächsten projekte der wochenklausur?
wolfgang
zinggl: es
gab in der zwischenzeit noch ein projekt, in helsingborg. das nächste findet in liverpool
statt im juli/august, wo wir mit tenants - bewohner/innen
von hochhaussiedlungen - gemeinsam ein fernsehprogramm
einrichten und gestalten. fünf skyscrapers, die in den
60er jahren im zuge des sozialen wohnbaus errichtet
wurden, leiden darunter, dass ihre bewohner/innen dort
alt geworden sind. die kinder sind weggezogen, und die
damals jung zugezogenen sind jetzt pensionist/innen.
genau genommen ist das ein riesiges pensionist/innenheim,
aber ohne die infrastruktur und betreuung eines pensionist/innenheims.
wir wurden eingeladen, etwas kreatives zu entwickeln
und zu installieren. wir werden gemeinsam mit den bewohner/innen
jede woche zwei bis drei stunden hauseigenes fernsehen
gestalten. wir werden einen eigenen kanal einrichten
- wir haben rausgefunden, dass es beim eingang aller
hochhäuser kameras gibt, um zu kontrollieren, wer kommt.
die idee war, wenn wir diese fünf zusammenschließen,
haben wir eigentlich einen fernsehkanal. den werden
wir einrichten, und dann werden wir mit den bewohner/innen
gemeinsam woche für woche programm machen. aber nachdem
wir nur sechs wochen dort sind, werden wir dieses programm
im vorfeld - ähnlich wie in kainbach - programmieren
für das ganze jahr, und uns dann verabschieden.
raimund
minichbauer: vielen
dank für das gespräch.
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