"Stillleben"
lautet der Untertitel des Magazins regina, das
die in Berlin lebende Künstlerin Regina Möller im Jahr
2002 anlässlich des Jahresprojekts "Campus
2002" der Kokerei Zollverein / Zeitgenössische
Kunst und Kritik herausgegeben hat.
Das Magazin "Stillleben"
ist bereits die sechste Ausgabe der Zeitschrift regina.
Anfang der 90er Jahre hatte die Künstlerin Regina Möller
– angeregt durch ihre Erfahrungen in New York, wo sie
von 1989 bis 1993 lebte und arbeitete, durch die Begegnung
mit dem für sie erfrischend anregenden Format Comic
sowie durch ihre frühen Erfahrungen als Kindermodell
für Zeitschriftenphotos und Werbekampagnen – begonnen,
sich mit dem Medium Zeitschrift als Ausdrucksform künstlerischer
Praxis und Mittel zur strategisch-feministischen Intervention
zu beschäftigen.
Der Prototyp dieser
Zeitschrift erschien im Oktober 1994 mit dem Untertitel
"Das Grosse Herbstheft", das Regina Möller
in ihrer Einzelausstellung im Künstlerhaus Stuttgart
vorstellte. Weitere Ausgaben der Zeitschrift regina
folgten. 1997 erschien die zweite Nummer ebenfalls im
Zusammenhang mit einer Einzelausstellung von Regina
Möller im Kunstverein München und im Jahr 1998 wurde
regina dann zum ersten Mal außerhalb von Deutschland
für die Gruppenausstellung artranspennine'98',
einer Partnerschaft zwischen der Tate Gallery Liverpool
und dem Henry Moore Sculpture Trust, produziert. Im
Jahr 2000 veröffentlichte Regina Möller dann zeitgleich
die vierte Nummer der regina auf Einladung des
Moderna Museet Projekt Stockholm in Schweden und die
fünfte Nummer für die Internationale Frauenuniversität
(ifu), die für 3 Monate an verschiedenen deutschen Universitäten
mit Teilnehmerinnen aus der ganzen Welt stattfand.
Mit ihrer bewussten
Setzung, Kunstinstitutionen nicht nur als Ausstellungsorte
von Displays und Kunstobjekten, sondern mit der Herausgabe
einer Zeitschrift als Produktions- und Distributionsorte
zu nutzen, erweitert Regina Möller auf produktive Weise
die frühe Kritik am Kunstbetrieb und seinen Mechanismen,
wie sie im Rahmen einer "institutional critique"
bereits seit den 60er Jahren diskutiert wurde. Dieses
Verständnis künstlerischer Produktionsweise wird in
den jeweiligen Ausgaben der Zeitschrift regina
konsequent verfolgt und gestalterisch wie inhaltlich
umgesetzt. Jede Ausgabe entsteht in Zusammenarbeit
mit jeweils verschiedenen, von Regina Möller zusammengestellten
Teams, die sich aus Professionellen unterschiedlicher
Arbeitsbereiche und Berufszweige zusammensetzen. So
arbeitet Regina Möller u.a.
mit AutorInnen zusammen, die nicht nur zu spezifischen
Themen schreiben, sondern die, zum Beispiel als WissenschaftlerInnen
oder AktivistInnen, zu und mit diesen Themen bereits
seit längerem arbeiten. Mit diesem spezifischen Produktionsmodell
im Zeitschriftenformat lässt sich die Zeitschrift regina
nicht nur als künstlerische Intervention, sondern vor
allem als ein Medium zur Sichtbarmachung sozialer, medialer
und feministischer Praktiken verorten.
Dies wird bereits
am Cover der Zeitschrift deutlich, das weder Photomodelle
noch Kleidung oder Modeaccessoires, sondern immer Portraitaufnahmen
der Person Regina Möller in ihrer Veränderung und persönlichen
Entwicklung zeigt, wobei sich die Bildausschnitte von
Heft zu Heft reduzieren. Die Person Regina Möller fungiert
hier als eine reale Identifikationsfigur. Doch ganz
im Gegensatz zu Frauenzeitschriften wie Brigitte,
Petra oder Freundin, gibt sich regina
nicht als beste Freundin der LeserIn aus, vermittelt
keine hilfreichen Tipps und setzt keine neuen Trends.
Mit dieser Vorgehensweise wird jede Ausgabe der Zeitschrift
regina personalisiert und identifizierbar gemacht,
lässt sich jedoch weder als reine Frauen- oder Modezeitschrift,
noch als Kunstmagazin, Ausstellungskatalog oder Zine
einordnen. Bereits in dieser Strategie der uneindeutigen
Kategorisierbarkeit kommt das feministische und subtil
gesellschaftskritische Verständnis, das mit der Zeitschrift
regina verfolgt wird, zum Ausdruck.
Eine weitere Brechung
des üblichen Aufbaus und Inhalts von Frauen-Modezeitschriften
erfolgt im Inneren der Hefte. Dies vermittelt sich den
LeserInnen bereits über das Layout, das sich von Ausgabe
zu Ausgabe ändert, da Regina Möller jeweils mit verschiedenen
DesignerInnen eng zusammenarbeitet und deren Know-How
in die Gestaltung mit einfließen lässt. Text und Bild
werden in der Zeitschrift regina ähnlich der
Struktur von Comics zusammengebunden und jeder Artikel
erhält ein spezifisches, mit dessen Inhalt sich verschränkend
gestaltetes Layout. Auch wenn vordergründig übliche
Inhalte von Frauenzeitschriften behandelt werden, sind
diese aus ganz anderen Blickwinkeln und Kontexten heraus
besetzt. Scheinbar allgemeingültige Sparten wie 'Mode'
oder 'Reisen' werden in ihren gesellschaftlichen und
ortsgebundenen Bedeutungszusammenhängen analysiert und
reflektiert. In der regina-Ausgabe "Stillleben"
finden die LeserInnen zum Beispiel unter der Rubrik
'Reisen' keine Artikel über ferne, touristische Reiseziele,
sondern stattdessen eine kritische Auseinandersetzung
mit Männlichkeit und einer 'männlich' konnotierten
Sichtweise, wie sie in Ruhrgebietsreportagen von Schriftstellern
und Photographen eingenommen wird. Und unter der Sparte
'Wohnen' werden weder Verschönerungstipps für die eigenen
vier Wände gegeben, noch die Wohnverhältnisse einer,
zudem für die meisten LeserInnen unerreichbaren Haute
Vollée in den Mittelpunkt gestellt, sondern stattdessen
Arbeitersiedlungen und Frauenwohnprojekte im Ruhrpott
thematisiert.
Unter der Rubrik
'Mode' findet man in regina – "Stillleben"
eine Photostrecke, die Mode sowohl in ihrer Funktion
als gesellschaftliches Zeichen, als auch in ihrer Rolle
als ökonomische und symbolische Form der Kapitalbildung
erkennbar werden lässt. Die in dieser Photostrecke gezeigte
Kollektion "embodiment Line Two" stammt aus
dem von Regina Möller konzipierten Label "embodiment",
das sich mit Bekleidung im erweiterten Sinne beschäftigt.
Unter diesem Label werden von Regina Möller nicht nur
Kleidungsstücke und Accessoires entworfen, sondern auch
Möbel, Tapeten oder Teppiche als Prototypen entwickelt,
die sich alle auf ihre Körpermaße beziehen, um dann
in limitierter Auflage und auf Bestellung maßangefertigt
produziert, vertrieben und von den jeweiligen KäuferInnen
benutzt zu werden. Die speziell für das Magazin "Stillleben"
neu entworfene Kollektion "embodiment Line Two"
wird nicht nur in der stillgelegten Industrieanlage
der Kokerei Zollverein und des Schachts XII der Zeche
Zollverein in Essen fotografiert, sondern die vorgestellten
Bekleidungen selbst sind bereits aus den Artefakten
jener Blütezeit der Schwerindustrie, aus den sogenannten
Grubentüchern, gefertigt. Diese, von Münsterländischen
Webereien hergestellten, Grubentücher wurden von den
Bergbauarbeitern benutzt, da der Kohlestaub beim Abtrocknen
unsichtbar blieb. Mit dieser subtilen, künstlerischen
Strategie verweist Regina Möller nicht nur auf veränderte
Produktionsformen, nämlich die Ablösung der Schwerindustrien
durch gestaltende Dienstleistungsökonomien, hin, sondern
sie verweist in einem weiteren Schritt, durch die Nutzung
von Grubentüchern als Modetextilstoffe, die Mode selbst
wieder in den Bereich einer Ökonomie, die vor allem
mit den Mitteln symbolischen Gehalts erfolgreich operiert.
Auch in der Sparte
'Kultur' stehen nicht Glamour und Hollywoodschönheiten
im Mittelpunkt, sondern die Drehbuchautorin des TV-Spielfilms
'Harte Brötchen', der das Leben um einen Ruhrgebiets-Kiosk
in Form eines modernen Märchens erzählt, wird interviewt.
Mit dem Griff nach diesem für Zeitschriften üblichen
Stilmittel gelingt es Regina Möller mehrere Erzählebenen
zu verschränken und den LeserInnen nicht nur die Geschichte
dieses Films und seiner Autorin, sondern ebenso einen
Einblick in traditionelle Alltagswelten und einen Eindruck
von den Veränderungen im Ruhrgebiet zu vermitteln. Erweitert
wird der lokale Kontext der in regina – "Stillleben"
fokussierten Narrationen durch fundierte Beiträge zu
Möglichkeiten alternativer Bio- und Umweltwissenschaften,
zu viraler Informationspolitik und zur globalen Welt
der Grrl und Lady Zines. Mit solchen Beiträgen und durch
eine, fast nebenbei erfolgende Einführung von Rubriken
wie 'Natur' und 'Stadt' – Sparten, die nun gerade nicht
in herkömmlichen Frauen-Modezeitschriften vorzufinden
sind – schafft regina eine Art 'Gegenöffentlichkeit',
ohne dem Fehler zu verfallen, sich außerhalb des medial-gesellschaftlichen
Systems zu wähnen.
Die angeführten Beispiele
aus der Ausgabe "Stillleben" geben bereits
einen Einblick in die strategischen Wege, die die Zeitschrift
regina beschreitet. Fast spielerisch wird das
Medium Frauen-Modezeitschrift rekonstruiert, um es im
selben Augenblick zu dekonstruieren und in seiner Funktion
als ein Medium der Bestätigung herrschender Stereotypen
scheinbar typischer, 'weiblicher' Lebenszusammenhänge,
Interessen- und Bedürfnislagen zu entlarven. Die fiktionale
regina und doch reale Figur Regina – multimedial
arbeitende Künstlerin, Autorin, Entwerferin von embodiment,
Redakteurin und Editorin zugleich – dient als Ausgangspunkt,
um an ein ganzes Set von persönlichen Erfahrungen, gesellschaftspolitischen
Diskursen, sozialen Alltagswelten und widerständischen
Praktiken anzuknüpfen, die tradierte Vorstellungen
und Bildproduktionen, zum Beispiel des Lebens von Frauen,
unterlaufen und kritisch hinterfragen. So zeigt das
Interview mit einer Make-up- und Haarkünstlerin im Magazin
"Stillleben", dass Make-up als harmlose, 'weibliche'
Verschönerungspraxis durchaus eine politische Dimension
hat: 'face-recognition', die (Wieder-)Erkennbarkeit
des Gesichts als neue Sicherheits- und Modestrategie
vor dem Hintergrund des 11. Septembers.
Doch der strategische
Horizont von regina reicht noch weiter. In der
Zeitschrift regina wird die Kritik an herrschenden
Geschlechterverhältnissen nicht als eine isolierte Frage
behandelt, sondern diese wird auf inhaltlicher und gestalterischer
Ebene nahezu selbstverständlich in die verschiedenen
Themenfelder eingeführt. Damit werden all jene disziplinarischen
Schranken durchkreuzt, an denen möglicherweise diese
Kritik bereits selbst scheitert. Und mit ihrer bewusst
angelegten, kollaborativen Arbeitsweise verweigert sich
die Künstlerin Regina Möller zudem sowohl dem künstlerischen
Einzelkämpfertum, als auch dem Bild vom, meist männlichen
Künstlergenie. Verschränkt werden stattdessen verschiedene
Bereiche innerhalb von Kunst- und Kulturproduktion,
Feminismus, Medien, Wissenschaften, Umweltpolitik und
Alltagsleben.
Die Zeitschrift regina
funktioniert deshalb vielmehr als eine Collage, die
verschiedene Erzählweisen, Text- und Bildgeschichten
"vernäht" – und sie ist darüber hinaus sehr
unterhaltsam. regina operiert als ein professionell
gemanagtes Patchwork unterschiedlicher Professionen,
das Kunst- und Medienwelt zusammenfügt, neue Geschichten
erzählt und andere Lesarten beim Publikum provoziert.
Im Gegensatz zu marktorientierten Frauen-Modezeitschriften
und entgegen kommerziellen Verwertungskriterien des
Kunstbetriebs, bedient regina das Publikum nicht
mit an diesen Anforderungen angepasst konzipierten Inhalten
und Outlines. Stattdessen offeriert regina, meist
auf der Folie einer Dekonstruktion von 'gender', neue
und spezifische, da subjektiv ausgewählte Blickrichtungen
auf lokale Umgebungen, verschiedene Wissensgebiete und
diverse Felder der Kultur- und Medienproduktion. Dieses
Verfahren kommt bereits im Untertitel dieser Ausgabe,
in dem Begriff "Stillleben" zum Ausdruck,
der auf die doppeldeutige Bedeutung dieses Kunstworts
und einen langen kunsthistorischen Streit um die, verkürzt
formulierte Frage 'Kunst oder Leben' verweist. regina
setzt hier gegenläufige Maßstäbe und zeigt andere Lebensmodelle
und -geschichten auf, als diejenigen, die üblicherweise
nicht nur in Frauenzeitschriften, sondern häufig auch
nach wie vor im Kunstbetrieb erzählt werden. Denn zumindest
im deutschsprachigen Kunstkontext selten genug sind
solche, zudem noch intelligent angelegte feministische
Positionen allemal. Mit ihren dekonstruierenden
und gleichzeitig produktiven Strategien stellt sich
die Zeitschrift regina trendigen Wendungen
innerhalb des Kunstbetriebs entgegen und hebt sich wohltuend
'gesellschaftspolitisch' – doch subtil genug – von eben
diesem Kunstbetrieb ab. Einem Kunstbetrieb, der immer
wieder auf ein Neues Gefahr läuft, die Verschränkung
künstlerischer mit sozialen, politischen oder gar feministischen
Praktiken an den Rand zu drängen. Schon allein aus diesem
Grund können die LeserInnen auf weitere Ausgaben der
Zeitschrift regina gespannt sein.
Regina
Möller: regina-Stillleben, Nr.6, September 2002
Hrsg.
Florian Waldvogel, Marius Babias, Kokerei Zollverein
I Zeitgenössische Kunst und Kritik, Essen, ISBN: 3-935783-07-8
Vertrieb
und Info über die Zeitschrift
regina
http://www.regina-magazine.de/
Mail:
mailto:Info@regina-magazine.de
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