Das Video "Disobbedienti" (54 Min., 2002),
das Oliver Ressler in Kooperation mit Dario Azzellini
realisierte, thematisiert die Entstehungsgeschichte, die
politischen Grundlagen und die Aktionsformen der Bewegung
der Disobbedienti (die Ungehorsamen) anhand von Gesprächen
mit sieben Beteiligten. Die Disobbedienti gingen während
der Demonstrationen gegen den G8-Gipfel im Juli 2001 in
Genua aus den Tute Bianche hervor. "Tute Bianche"
war die Bezeichnung für jene weiß gekleideten
AktivistInnen aus Italien, die ihre durch Schaumstoff,
Reifen, Helme, Gasmasken und selbst gemachte Schilde geschützten
Körper bei direkten Aktionen und Demonstrationen
als Waffe des zivilen Ungehorsams einsetzten.
Gerald Raunig: Das Video "Disobbedienti" dokumentiert
eine kollektive Praxis des zivilen Widerstands, des
Ungehorsams, die - aus den aufsehenerregenden Auftritten
der Tute Bianche hervorgegangen - eine Öffnung
der Strategie der Spektakularität und der Forcierung
einiger weniger Protagonisten in eine breite Bewegung
des Widerstands propagiert. Diese Öffnung scheint
trotz aller staatlicher Repression zu gelingen, betrachtet
man die im Video gezeigte gelungene Aktion der Demontage
des Abschiebelagers in Bologna im Jänner 2002 oder
auch den erfolgreichen Ablauf des europäischen
Sozialforums in Florenz im November. Es stellt sich
jedoch bei aller Sympathie die Frage, wie die in solchen
Zusammenhängen beschworene "nicht repräsentierbare
Multitude" entstehen kann, wie die auch im Video
sichtbar werdenden Brachial-Selbstrepräsentationen,
wie eine identitaristische Geschichtschreibung überwunden
werden können, in der die Disobbedienti sich und
ihre Vergangenheit als Tute Bianche als Wurzel breiterer
Bewegungsansätze inszenieren.
Oliver Ressler: Ich sehe die Sache nicht so dramatisch
wie du. Einige Beteiligte der Disobbedienti haben ihre
Wurzeln in der Autonomia Operaia, viele mehr waren bei
den Tute Bianche beteiligt, und beziehen sich dadurch
auch verstärkt auf dafür wichtige Diskussionen
und Aktionen. Klar kann man ein Konzept wie das des
sozialen Ungehorsams kritisieren, da teilweise Formen
des Widerstandes, die ohnehin schon von verschiedenen
Gruppen zu verschiedenen Zeitpunkten praktiziert werden
und wurden, unter dem Label "Ungehorsam" zusammengefasst
werden, und der Begriff dann gleich noch als Namensgeber
für die Disobbedienti (die Ungehorsamen) verwendet
wird. Diese Kritik wird, wie im Video zu hören
ist, übrigens von Beteiligten der Disobbedienti
durchaus auch selbst geübt. Bei den Disobbedienti
gibt es immer beide Tendenzen, einmal den Wunsch, wie
in Genua in der Multitude der DemoteilnehmerInnen und
der Bewegung aufzugehen, andererseits den Ansatz, eine
möglichst herausragende, radikale Position einzunehmen.
Das war auch beim europäischen Sozialforum in Florenz
so, wo die Disobbedienti versuchten, gleichzeitig sowohl
drinnen als auch draußen zu sein, Unterschiede
klar zu machen, aber trotzdem keine abgetrennte Position
einzunehmen, um das Forum nicht zu spalten. Entscheidend
für mich, ein Video über die Disobbedienti
zu machen, war sicher die Tatsache, dass ihre Aktionen
auf so spannenden Ansätzen basieren, die leider
viel zu wenig außerhalb Italiens bekannt sind.
G.R.: Das Video selbst doppelt ja in gewisser Weise
das Problem der (Selbst-)Repräsentation dessen,
was sich selbst nicht repräsentierbar wähnt.
Die Strategie, die du - wie in früheren Arbeiten
auch - wählst, ist hauptsächlich die der Gegeninformation:
du lässt ExpertInnen einer - wie du richtig sagst,
zu wenig bekannten - minoritären Praxis sich selbst
und ihre Ideologie präsentieren und tust das mit
einer emphatischen Haltung. Im Fall der Disobbedienti
sind es fünf Männer und zwei Frauen, die sehr
überzeugend auftreten und die komplexen Konzepte
des Postoperaismus, Postfordismus, Poststrukturalismus
und "Empireismus" und deren Popularisierung
besser drauf zu haben scheinen als Negri und Hardt selbst.
Genau diese Strategie der Klarheit von ideologischen
Standpunkten ist manchmal sicher notwendig, sowohl auf
der Bühne des politischen Aktivismus wie auf der
Bühne des Videos. Im Fall einer Praxis, die sich
auf zapatistische und deleuzianische Hintergründe
beruft, sind komplexere, formal wie inhaltlich heterogenere
Ansätze vielleicht jedoch adäquater. Andererseits
kommt mir wiederum vor, dass du vielleicht gerade durch
die Strategie der Affirmation, des Sichtbarmachens,
der Komplexitätsverengung die Schwäche der
Disobbedienti aufwirfst: das notwendige Scheitern und
immer aufs neue Werden der von ihnen selbst forcierten
andauernden Selbstbefragung der Bewegung.
O.R.: Meine bisherigen Erfahrungen mit dem Video "Disobbedienti"
sind zum Teil in die Richtung gegangen, dass viele Leute
das Gesprochene bereits als derart komplex und abstrakt
wahrgenommen haben, dass sie nicht allen im Video angeführten
Argumenten ohne weiteres folgen konnten. Ich bewege
mich da immer in einem gewissen Zwiespalt, einerseits
ein Video produzieren zu wollen, das die Inhalte oder
theoretischen Ansätze widerspiegelt und auch über
die Inhalte Einfluss auf die formale Gestaltung nimmt,
andererseits stelle ich an meine Arbeit grundsätzlich
den Anspruch einer allgemeinen Verständlichkeit
und Klarheit. Wenn, wie im Falle des Videos "Disobbedienti",
das Gesprochene ohnehin von der Mehrheit der RezipientInnen
als sehr kompliziert wahrgenommen wird, könnte
eine weitere Kodierung auf der formalen Ebene dazu führen,
dass der potentielle RezipientInnenkreis reduziert wird.
Für mich ist es bei meiner Arbeit schon ein entscheidendes
Kriterium, dass sie nicht ausschließlich für
ExpertInnen Sinn macht und dass sie sich einer breiteren
Rezeption nicht verschließt, da die Arbeiten ja
zu einem gewissen Grad auch mobilisierend wirken sollen
oder anregend, selber aktiv(er) zu werden.
G.R.: Vielleicht auch zu diesem Zweck hast du sehr
wohl formale Mittel angewandt, an gewissen Stellen des
Videos, an denen die Sprache in ungewisse Zonen vorrückt,
eine weiße Reflexionsfläche zwischen die
Wortkaskaden gebastelt. Vor allem bei Fragen zur Zukunft
des Widerstands und der Revolten, bei denen Negri und
Hardt etwa in christliche Legenden oder in "die
Leichtigkeit und Freude, KommunistIn zu sein" abtauchen,
verwendest du dieses Mittel, das dem reißenden
Fluss der italienischen Sprache mehr als einen Schnitt,
eine Nachdenkpause verordnet. Aber die Farbe Weiß
hat im Zusammenhang mit den Tute Bianche / Disobbedienti
ja auch andere Konnotationen...
O.R.: "Tute Bianche" steht ja für die
weißen Overalls, die die AktivistInnen bei vielen
Aktionen bis zu den Demonstrationen gegen die G8 in
Genua getragen haben. Im Video erfährt man unterschiedliche
Ansätze, mit denen die Entscheidung für weiße
Overalls erklärt wird - vom Wunsch, sich von den
blauen Overalls der klassischen Fabrikarbeiter abzuheben
bis zum zapatistischen Ansatz, sich zu verbergen, um
gesehen zu werden. Im Video kommt den weißen Flächen,
wie du andeutest, auch die Funktion zu, den Bilderfluss
an zentralen Stellen zu durchbrechen, um den Text noch
weiter in den Vordergrund zu rücken, den Raum für
Reflexionen zu öffnen und auf inhaltliche Leerstellen
zu verweisen, die die BetrachterInnen mit ihren persönlichen
Vorstellungen füllen könnten. Also der Versuch,
für eine Entwicklung, die entsprechend des Konzepts
der Disobbedienti "Fragend-Laufend" und ohne
vorgefertigte Modelle voranschreiten soll, visuell eine
Entsprechung zu finden.
G.R.: "Camminando-domandando" - dieses Konzept
wird im Video vor allem von einer sehr überzeugenden
Aktivistin forciert. Das Geschlechterverhältnis
deiner ProtagonistInnen (fünf Männer - zwei
Frauen) drückt zwar eindeutig die männliche
Dominanz bei den noch immer körperbetonten, offensiven
Aktionen der Disobbedienti aus, ist aber immerhin ein
Fortschritt zu früheren Dokumentationen über
die Tute Bianche, in denen fast ausschließlich
Männer gefeatured wurden. Siehst du da eine Entwicklung
hin zu einer verstärkten aktivistischen Partizipation
von Frauen oder ist die Auswahl der Interviewten eher
als Intervention von deiner Seite zu verstehen?
O.R.: Es war Dario und mir natürlich bewusst,
dass die bekanntesten VertreterInnen der Disobbedienti
männlichen Geschlechts sind, und auch in unserem
Video kommen wir nicht darum herum, diese Tatsache zu
reproduzieren. Ich glaube nicht, dass zur Zeit Frauen
stärker in den aktivistischen Zusammenhängen
wahrgenommen werden, die geringe Präsenz von Frauen
bei den Rednerpulten beim europäischen Sozialforum
würde eher auf das Gegenteil verweisen. Für
das Video war es auf jeden Fall eine bewusste konzeptionelle
Entscheidung, Frauen der Disobbedienti nicht beim Lasagnekochen
oder Transparentenähen zu filmen, sondern ihnen
Raum für ihre präzisen Analysen und Einschätzungen
zu geben.
Das Video "Disobbedienti" wird am 16.02.03
um 16 Uhr im Filmcasino in Wien und auf der Diagonale
in Graz (24 - 30.03.03) gezeigt.
Von Dario Azzellini und Oliver Ressler ist in der aktuellen
Ausgabe der Kulturrisse (04/02) der Text "Die Macht
des Gewaltdiskurses" erschienen.
Für weitere Informationen über die Disobbedienti
und die sozialen Bewegungen in Italien sei auf das Buch
verwiesen: Dario Azzellini, Genua - Italien, Geschichte,
Perspektiven; Assoziation A, 2002
aus: MALMOE
11, Jänner 2003
|