Textimmanente
Interpretationen eignen sich üblicherweise vorwiegend für
Werke aus dem Feld der fiction. Das neueste Textkonvolut
aus der Schriftenreihe des eipcp macht eine solche
Lesart hingegen auch für ein theoretisches Werk möglich.
Nur ganz selten entspricht das gegenüber Monographien
zugegebenermaßen schwierigere Format eines
Sammelbandes auch den dort aufgearbeiteten Inhalten so
sehr wie in diesem Fall. Die zentrale Fragestellung nach
dem Verhältnis von Repräsentation und Aktion und vor
allem nach den Räumen zwischen diesen beiden Eckpunkten
spiegelt sich auch in der redaktionellen
Zusammenstellung des Buches wieder. Nämlich insofern,
als die Pluralität der präsentierten Meinungen nicht
durch eine privilegierte Position auf eine gemeinsame
Aussage hin zurecht gebogen würde.
Das ist zugleich
die Stärke wie auch die Schwäche des Buches. Auf diese
Weise lotet es zwar mögliche theoretische Lesarten von
Öffentlichkeit und öffentlichem Raum aus, zeigt uns
wiederum unterschiedliche Zugänge dazu in diversen aktivistischen
wie auch filmemacherischen Praxen und diskutiert deren
Politikhaltigkeit. Was allerdings – bei all den spannenden,
informativen und unverzichtbaren Informationen welche
die einzelnen Aufsätze bieten – beharrlich überbleibt,
ist ein Gefühl der Unbefriedigtheit. Was abgeht, ist
das, was Andrea Membretti in seinem Beitrag über das
Mailänder Centro Sociale Leoncavallo als mögliche politische
Strategie formuliert: "Über das Moment des Konflikts
ist es also gelungen, die öffentliche Zustimmung zu
steigern, indem in der Öffentlichkeit ein Bild mit hohem
symbolischen Wert konstruiert wurde," schreibt
er, "das in Krisenzeiten zur wesentlichen Ressource
wird" (S. 77).
Natürlich ist ein
solcher Mangel durchaus konsequent, handelt der Sammelband
doch von der Problematik der Repräsentation. So scheint
sich eine Analogie aufzudrängen zwischen der Textmontagearbeit
des Herausgebers Gerald Raunig und jener Leistung des
Regisseurs von "La Commune. Paris 1872", Peter
Watkins, welche in Michaela Pöschl's Aufsatz herausgearbeitet
wird. Watkins integrierte das Problem der (Nicht-)Repräsentierbarkeit
in die formale Struktur des Filmes, er suchte nach der
schier unmöglichen Darstellbarkeit der innerhalb der
Pariser Kommune wirksamen Organisationsformen indem
er die Bildproduktion selbst bis zu einem gewissen
Grad zur Disposition stellte. Die rund 220 DarstellerInnen
des Films waren wesentlich an der Recherche, der Produktion
wie der Distribution beteiligt und ihre Interventionen
führten daher auch immer wieder zu einer Neufassung
der Konzeption. Was Watkins jedoch verweigerte, war
die Infragestellung des Verhältnisses von Regisseur
und AkteurInnen (S. 116). Somit stellte er den eigentlichen
Rahmen der Repräsentation selbst außer Streit und behielt
sich die Anordnung, die Auswahl des Zeigbaren, die Montage,
die Kameraeinstellungen, das heißt kurz und gut die
Art und Weise der Thematisierung von Repräsentation
selbst vor.
Ähnliches tut Raunig
als Herausgeber des Sammelbandes: Er definiert die Fragestellung
(also den Rahmen), er wählt die Blickwinkel mittels
derer die Fragestellung bearbeitet wird aus und er montiert
sie zu einem Ganzen. Dass er dabei selbst keine endgültige
Antwort formuliert, sondern durch die Art der ausgewählten
und einander teilweise widersprechenden Texte größtmögliche
Offenheit signalisiert, erweckt als scheinbarer Mangel
die Begehrensstruktur der LeserInnen. Ein Begehren,
das die Lust an der Lektüre der durchaus divergierenden
Texte bis zur letzten Zeile aufrecht erhält und das
zu einer Weiterführung der Debatte drängt. Diese kann
nun allerdings, durch zahlreiche Diskussionsbeiträge
neu informiert, geführt werden. So liefern etwa die
Aufsätze von Franco Berardi Bifo, Boris Buden und Stefan
Nowotny unverzichtbare Aspekte für die Thematisierung
von Öffentlichkeit und öffentlichen Räumen selbst. Die
Erörterung unterschiedlicher Praxen der Repräsentation,
etwa durch Tristan Wibault, Marion Hamm, Kathrin Wildner,
Alice Creischer, Andreas Siekmann und Jürgen Schmidt,
Thomas Waibel, Angela Melitopoulos und Oliver Ressler
ermöglicht den alltagsbezogenen Abgleich mit eigenem
politischen Handeln. Der von Hito Steyerl in die Diskussion
eingeführte Neologismus der Dokumentalität erweist sich
als künftig unverzichtbar bei der Auseinandersetzung
mit dem Zusammenhang von Bildern und Wahrheit. Maurizio
Lazzarato schließlich verwirft die Idee der Repräsentation
zugunsten einer Favorisierung des Ereignisses. In diesem
Sinne wissen wir nach der Lektüre des Bandes zwar nichts
besser, sind aber dennoch ein gutes Stück schlauer geworden!
[erscheint in:
kulturrisse 03/04]
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