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martin krenn | raimund minichbauer 03/2004
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raimund minichbauer: nachdem das projekt city views in mehreren städten durchgeführt und gezeigt wurde[1], ist ab ende märz 2004 die ausstellung im centre d'art passerelle[2] in brest zu sehen, dem ersten kooperationspartner bei der planung des projektes. vielleicht ein guter anlass, um auf den beginn des projekts zurückzublicken und die frage zu stellen, wie es sich im laufe der realisation verändert hat.
martin krenn: ich hatte, als ich die einladung bekam, mich an republicart zu beteiligen, schon seit längerer zeit dieses projekt geplant und konzipiert: eine fotoserie in kooperation mit stadtbewohner/innen mit migrantischem hintergrund.
mein erster kooperationspartner war das centre d'art passerelle in brest. schon ein paar jahre zuvor war ich im rahmen eines filmfestivals in brest, das sich in erster linie mit widerstand in österreich gegen die schwarz-blaue regierung beschäftigte, eingeladen worden, dort meine fotoserie demonstrate! [3] auszustellen.
sowohl bei demonstrate! wie auch bei city views handelt es sich um eine form von dokumentarischer fotografie, die allerdings nicht nur auf meinem blick basiert, sondern wo ich in zusammenarbeit bzw. in form eines austauschs mit personen, die thematisch besonders involviert sind, fotografische lösungen entwickle. beide projekte sind mit texten meiner kooperationspartner gekoppelt, es sind also foto-text-serien.
anlass für demonstrate! war die diffamierung der demoteilnehmer/innen der wiener donnerstagsdemos durch die berichterstattung der größten medien in österreich. vielen noch im gedächtnis ist die schlagzeile der kronen zeitung, dass die 'randalierer', wenn sie auf die straße gehen, uns hunderttausende euros kosten. ich wurde vom salzburger kunstverein für eine ausstellung eingeladen, und wollte die möglichkeit nützen, in diesem haus eine andere sichtweise auf den widerstand gegen die regierung zu formulieren. demonstrate! stellt dem bild der gewalttätigen masse individuelle positionen der demoteilnehmer/innen gegenüber. während der demonstrationen wurden von mir leute angesprochen und gefragt, ob sie damit einverstanden wären, wenn ich ein foto von ihnen machen würde. dann fragte ich sie, wie sie gerne fotografiert werden würden, also ob das foto z.b. unscharf sein sollte, wie der bildausschnitt aussehen sollte usw. ich wählte also einen ganz anderen zugang als ich ihn von zeitungsfotografen her kannte. die auswahl der fotos, die in diesem prozess entstanden ist, wurde dann per e-mail noch weiter diskutiert und durch textstatements der demoteilnehmerinnen ergänzt. die serie eröffnete eine andere sichtweise auf die donnerstagsdemos. die in den medien als 'randalierer' diffamierten demonstrant/innen eröffneten einen ganz anderen differenzierten blick von unten auf die demos. diese herangehensweise hat auch meine konzeption für city views beeinflusst, hier werden mit migrantischen perspektiven städte portraitiert.

raimund minichbauer: themen oder kategorien sind in der präsentation in den ausstellungen ein sehr wesentliches strukturierungselement. es gibt zu jedem thema eine kleinere anzahl von fotos und dazu ein textblatt mit den statements zu allen fotos der gruppe[4] - d.h. die verknüpfung von text und bild findet auch wesentlich auf dieser ebene statt. wie sind die kategorien entstanden? handelt es sich eher nur um kategorien, die dann für zuordnungen von fotos verwendet werden, oder hat sich das auch zu einer art von analytischem instrument entwickelt?
martin krenn: die ursprüngliche idee war, das material für die präsentation zugänglicher zu machen und dafür ein ordnungsprinzip einzuführen. dieses ist aber flexibel gestaltet, in neuen serien fallen manche themen wieder weg, oder es kommen neue dazu. die themen haben sich im laufe der arbeit herauskristallisiert. zu beginn standen die kategorien noch nicht fest. ich habe meine kooperationspartner gefragt, ob sie mir orte zeigen würden, die in bezug zu migration, rassismus und widerstand stehen. daraus sind die ersten kategorien entstanden, z.b. arrival/ankommen oder migration policies. so entstandene foto-textarbeiten und themenfelder haben dann die recherchen in den nächsten städten beeinflusst. ich habe den neuen kooperationspartner/innen gezeigt, was bisher entstanden ist, und einige haben sich dann darauf bezogen und etwas passend zu einem bestimmten themenbereich vorgeschlagen.

raimund minichbauer: wer sind deine kooperationspartner/innen?
martin krenn: ich habe ganz bewusst versucht, mit leuten in kontakt zu treten, die schon längere zeit in der stadt leben. die konzeption des projektes ist der austausch zwischen mir als künstler und den projektpartner/innen als stadtbewohner/innen.
die kooperation musste auf freiwilligkeit basieren - es gibt ja auch zwänge, die nicht so sichtbar sind. einmal versuchte z.b. eine mitarbeiterin einer hilfsorganisation, die von city views begeistert war, für mich kontakte zu migrant/innen herzustellen. dabei übte sie offenbar auf die von ihr betreuten migrant/innen subtilen druck aus. bei von mir geführten vorgesprächen stellte sich dann heraus, dass die von ihr eingeladenen migrant/innen eigentlich überhaupt kein interesse gehabt hatten, bei city views mitzumachen, da sie ganz andere probleme und sorgen hatten. solch "gutgemeinte" hilfe konnte zu sehr unangenehmen situationen führen.

raimund minichbauer: wird die auswahl der fotos und die zusammenstellung mit den texten dann an einem bestimmten punkt abgeschlossen - ist z.b. warschau jetzt abgeschlossen -, oder bildet das material ein archiv, auf das du dann zurückgreifst, wenn z.b. eine neue kategorie entstanden ist?
martin krenn: ja, denn die ausstellungen sind grundsätzlich unterschiedlich gestaltet. ich treffe die auswahl der fotos für die präsentation mit schwerpunkt auf der jeweiligen stadt - z.b. werden in warschau mehr fotos aus warschau gezeigt. die anzahl der fotos und die hängung wird durch die jeweilige räumliche situation des ausstellungsraumes bestimmt. die hängung erfolgt nach kategorien, pro kategorie fünf bis neun fotos. am beginn hängt das textblatt mit allen statements dann folgen meist zweireihig gehängt die fotos. als obergrenze habe ich 60 fotos pro präsentation festgelegt. in der fotogalerie wien[5] hatte ich nur eine wand zur verfügung, da wurden insgesamt 25 fotos gezeigt, als ein großes zitat aus der serie. die fotos wurden hier in drei reihen nach dem sogenannten boustrophedon-, also wagen-umkehr-prinzip angeordnet, wo man in drei linien das gesamte zitat lesen konnte. ein anderes beispiel war learning from* [6], eine gruppenausstellung zu stadtpolitiken. da war nur wenig platz, weil es sehr viele beiträge gab. also ist die idee entstanden, nur die fotos und statements aus der universal embassy zu zeigen.

raimund minichbauer: die universal embassy scheint vor allem am beginn des projekts so eine art paradigmatischer fall gewesen zu sein. die fotos sind einerseits genauso entstanden wie in den anderen städten auch, dass du mit einzelpersonen als kooperationspartner/innen fotos festgelegt hast. und gleichzeitig ist hier dadurch, dass nicht brüssel an sich das thema war, sondern die universal embassy, der aspekt der selbstorganisation und die kollektive ebene gleichsam mit eingeschrieben. wie bist du mit der frage subjektive/kollektive gesichtspunkte weiter umgegangen?
martin krenn: die serie zur universal embassy bildet eine ausnahme und gleichzeitig eine klammer für das gesamte projekt. die universal embassy - ehemalige somalische botschaft, die von sans-papiers gemeinsam mit aktivist/innen in brüssel 1999 besetzt worden ist[7] - ist von einer kollektiven situation geprägt.
die bewohner/innen der universal embassy sind täglich von der abschiebung bedroht, dadurch, dass es sich bei der universal embassy aber um einen selbstorganisierten ort handelt, spürte man diese schwierige situation nicht sogleich. als mir dann aber von den polizeiübergriffen und razzien erzählt wurde, wurde mir klar, wie romatisierend meine ursprüngliche sicht auf die universal embassy war.
es finden wöchentlich plena statt, in welchen die organisation innerhalb des hauses und auch die aktionen nach außen diskutiert werden. ich war also mit einer situation konfrontiert, in der migrantische selbstorganisation und der prozess der aneignung an einem konkreten ort manifest geworden sind.
während meiner arbeit an city views war es für mich sehr wichtig, diese aspekte herauzuarbeiten. da ich die chance hatte, nun an einem solchen ort fotos zu machen, verfolgte ich einen weniger individualisierenden ansatz. in gesprächen mit tristan wibault ist die idee entstanden, auszüge aus der bereits fertigen déclaration[8] der universal embassy in die fotoserie einzubauen. ich arbeitete aber auch mit einzelnenen bewohnerinnen, die mir ihre sicht der universal embassy vermittelten. in wien stand ich dann vor allem mit tristan per e-mail in kontakt, und schließlich wurden alle bild- und textbeiträge im plenum der universal embassy diskutiert.

raimund minichbauer: hat es die überlegung gegeben, wie man diese kollektive ebene in anderen städten auch 'erfassen' könnte ohne die voraussetzung der universal embassy?
martin krenn: es hätte mich auch interessiert, mit kanak attak in berlin zu arbeiten. ich habe auch schon gespräche geführt. es wird sich zeigen, welche form der kooperation hier noch enstehen könnte. kanak attak hat ja ein völlig anderes organisationsprinzip als die universal embassy.

raimund minichbauer: es ist auch ein modell im projekt, dass die kunstinstitutionen die kontakte herstellen zu den kooperationspartner/innen in der jeweiligen stadt. wie funktioniert das meistens? gibt es da in mehreren fällen kontakte zu z.b. migrantischen organisationen, oder siehst du das vielleicht auch als intervention in den lokalen kontext, dass da dann connections hergestellt werden?
martin krenn: mein grundgedanke war, dass ich von einer kunstinstitution, in der ich eine site-spezifische arbeit realisiere, auch im prozess und bei der recherche unterstützt werde. die jeweiligen kuratoren/innen waren von anfang an in das projekt eingebunden. das wissen über migrantische gruppen in der jeweiligen städten war dann in den institutionen sehr unterschiedlich. in london z.b. ist die arbeit im kontext der ausstellung trading places[9] gestanden, die sich mit migration in london und europa beschäftigt. das kuratorinnenduo b+b hat sich sehr intensiv mit der thematik auseinandergesetzt und konnte mir interessante projektpartnerinnen vermitteln. bei anderen institutionen war city views erst der anlass, sich intensiver mit der thematik "stadt und migration" auseinanderzusetzen und gezielt mit migrant/innen in der stadt kontakt aufzunehmen.

raimund minichbauer: das hauptmedium des projekts sind fotos und text in ausstellungen - und auf der website[10] würde ich sagen. aber es gibt auch video und für brest jetzt auch das vorhaben, fotos im öffentlichen raum zu affichieren. wie arbeitest du mit diesen ebenen?
martin krenn: das video heißt city views - research talks und ergänzt die ausstellungen. in einigen städten bin ich auf interessante phänomene gestoßen und habe dazu gespräche geführt. in warschau gibt es ein videogespräch mit rigels halili. drehort ist der informelle markt in warschau, der sich auf einem stadion befindet. dort bieten leute mit verschiedenen nationalitäten oftmals illegal ohne genehmigung ihre waren an. das habe ich sehr spannend gefunden, da dieses stadion ein angeeigneter ort ist und mit neuer bedeutung belegt wird. parallel dazu bin ich in warschau auf gated communities gestoßen und habe ein interview mit einer frau aus deutschland geführt, die in so einer abgezäunten kleinen wohnsiedlung wohnt.
in helsingborg, da gibt es immer wieder übergriffe von skinheads und gut organisierten rechtsradikalen. eine vertreterin der jungen linken beschreibt im video, dass sich die polizei in solchen fällen neutral verhält und bei übergriffen nicht eingreift. diese situation kennt man ja auch in anderen ländern und hier in österreich ganz gut. helsingborg wirkt aber wie ein kleines firedliches städchen am meer, umsomehr überrascht es dann von geduldeten rechtsradikalen schlägerbanden zu hören.
in ljubljana sprechen zwei theoretikerinnen und aktivistinnen zu 'erased people', menschen die nach dem krieg in slowenien ihre staatsbürgerschaft verloren haben, weil sie nicht 'slowenen' sind.
in der universal embassy beschreibt albertino rakipi die idee der universal embassy, berichtet aber auch von einem übergriff der polizei, die ganz früh am morgen bewaffnet eingedrungen ist und die bewohnerinnen schikaniert hat.

raimund minichbauer: die idee, die fotos als plakate im öffentlichen raum zu affichieren, hat es glaub ich von beginn an gegeben?
martin krenn: ja, es war von beginn an geplant, das auch im öffentlichen raum zu präsentieren. das wird jetzt in brest erstmals realisiert, an city light tafeln, wo einzelne fotos zusammen mit den statements an verschiedenen orten in der stadt präsentiert werden. zusätzlich werden posters in der städtischen bibliothek gezeigt, die selbst wieder ein sujet innerhalb von city views bildet. acht verschiedene sujets werden im öffentlichen raum präsentiert, und durch den verweis auf die ausstellung werden vielleicht auch leute für einen ausstellungsbesuch ins centre d'art passerelle interessiert.

raimund minichbauer: gibt es orte/motive, die in allen städten wichtig sind?
martin krenn: ein beliebtes sujet ist das rathaus. das ist in jeder stadt mehrfach genannt worden, weil die meisten migrant/innen negative erfahrungen mit dem gebäude verbinden. schon als die ersten fotos mit babak houman in wien entstanden, hat er das rathaus als sujet vorgeschlagen, von schräg unten fotografiert, um die macht, die es über ihn ausgeübt hatte, bevor er österreichischer staatsbürger wurde, zu verdeutlichen.

raimund minichbauer: du hast in demonstrate! portraits von demonstrant/innen gemacht, die auch, wie du am beginn schon erzählt hast, vorschlagen konnten, wie das foto grundsätzlich aussehen soll. in city views gibt es jetzt den schritt, dass die koopertionspartner/innen auf deine seite der kamera kommen. ist das eine entwicklung, die dahin geht, deine mittel als künstler zu vergesellschaften und zur verfügung zu stellen?
martin krenn: ich nähere mich dem themenfeld als künstler und fotograf an. ziel ist es, am ende ein fotoserie mit texten zu realisieren. diese künstlerische arbeit wird dann auch unter meinem namen ausgestellt. natürlich werden alle leute genannt, die mit mir zusammengearbeitet haben, aber letztlich ist es ein von mir realisiertes künstlerisches werk.
insofern stelle ich eigentlich nichts zur verfügung, sondern es ist eher so, dass die kooperationspartner/innen ihre zeit und ihr wissen zur verfügung stellen. aus diesem grund gab es meist lange vorgespräche, in welchen dann entschieden wurde, ob es sinn machen würde, mich bei dieser arbeit zu unterstützen.
als künstler interessiert mich, mit der fotografie methoden zu entwickeln, die meinen blick erweitern, dadurch entstehen ganz andere ergebnisse. für mich ist spannend, in diesen blick- und gedankenaustausch zu treten. natürlich ist die herangehensweise auch politisch, da sie eine perspektivenverschiebung zur folge hat.

raimund minichbauer: du hast die recherchen in london mehr oder weniger abgeschlossen. so ganz spontan würde ich sagen, dass in east london bezüglich der sichtbarkeit migrantischer zusammenhänge andere voraussetzungen herrschen als in den anderen städten, in denen das projekt bisher stattgefunden hat. war das ein punkt, wo dann die unterschiede zwischen den einzelnen städten und deren eigenlogiken stark sichtbar wurden, oder ist es so, dass - wie das ja auch die kategorien nahelegen - einzelne themen um migration durch die städte verfolgt werden können?
martin krenn: was du jetzt ansprichst, würde eher eine wissenschaftliche untersuchung erfordern, in der man die spezifische situation in den einzelnen städten im detail analysiert und dann in vergleich zueinander setzt. aber city views ist keine wissenschaftliche arbeit. ich kann dir dazu eigentlich nur eindrücke schildern, die ich während meiner aufenthalte gesammelt habe, z.b. dass in helsingborg nach wie vor ein sozialstaatliches prinzip einigermaßen aufrecht zu sein scheint, während es etwa in warschau fast gar nichts an unterstützung für flüchtlinge und migrant/innen zu geben scheint. in beiden städten traf ich kaum auf migrantische selbstorganisation, im gegensatz zu brüssel oder london.
city views hat eine relativ offene gleichzeitig auch komplexe struktur. es können anhand der aufgeworfenen themen parallelen und unterschiede zwischen den städten entdeckt werden. die serie soll von den betrachter/innen interpretierbar bleiben.
es geht im projekt darum, einblicke in sichtweisen von leuten mit migrantischem hintergrund zu gewinnen. mir fiel bei meiner arbeit am projekt auf, dass migrant/innen oft mehr über das verkehrsnetz in der stadt wissen, als stadtbewohner/innen, die dort geboren sind.
bei migrant/innen, die schon ein paar jahre in der stadt leben und oft auch in einer guten beruflichen und finanziellen situation sind, ist die stadt in welcher sie nun leben, ein selbstgewählter ort. es gibt also einen sehr positiven bezug zur stadt, aber auch einen sehr kritischen. ich glaube, dass das eine wesentliche aussage des projektes city views ist, dass migrant/innen teil der stadt und der stadtbevölkerung sind. das ist etwas, das durch alltagsrassismen verneint wird: durch die konstruktion des "anderen" und "fremden" soll diskriminierung und rassismus legitimiert werden.
city views zeigt sehr konkret, dass sich migrantinnen nicht nur als stadtbewohnerinnen fühlen, sondern auch als solche agieren.
raimund minichbauer: vielen dank für das gespräch.

zum projekt ist eine publikation erschienen:
martin krenn, city views
ein fotoprojekt mit migrantischen perspektiven
verlag turia + kant, schriftenreihe republicart, bd. 3
isbn 3-85132-414-5

http://republicart.net/publications/cityviews_index.htm

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