Fabrice Hybert gehört zu jenen Künstlerinnen
und Künstlern, die in den 90er Jahren auf unterschiedliche
Art und Weise Praxisformen der Ökonomie zum Material
ihrer künstlerischen Arbeit gemacht haben. So bestand
die erste herausragende Kooperation des Kunstraums Lüneburg
mit dem ' Künstlerentrepeneur' Hybert 1996 in einer
temporären Verwandlung des Musée d'Art Modern
de la Ville de Paris (Palais Tokyo) in einen Supermarkt,
der mit tausenden, für den Verkauf bestimmter Waren
gefüllt war, die über die Initiative von Studierenden
von deutschen mittelständischen Unternehmen zur Verfügung
gestellt worden waren.
In den Kontext dieser Idee des Künstlers als 'ökonomischem
Akteur' gehört auch Hyberts Arbeit mit Objekten,
die er als POF bezeichnet: 'Prototype d'Objet en Fonctionnement'.
Diese Prototypen, die auf den ersten Blick als Neuerungen
innerhalb der Welt von Alltagsgegenständen daherkommen
und durch ihre Stilisierung - etwa durch Hyberts Markenfarbe
'grün' - auch an das Konkurrenzfeld der ubiquitären
Konsumobjekte anknüpfen, erweisen sich durch ihre
Kontextualisierung im Kunstbereich als 'heimtückische'
Gegenstände, die sich einer spontanen Klassifikation
entziehen. Während die museale Präsentation
der POFs ganz offensichtlich keine kontemplativen, auratischen
Kunstwerke ergibt, sperren sie sich zugleich dagegen,
dem Nutzenkalkül des Konsumkapitalismus zu gehorchen
- sie sind nicht 'markttauglich', obwohl ihr Erscheinungsbild
ganz der Innovationslogik moderner Konsummärkte
entspricht.
Seit 2000 befindet sich auf dem Gelände des Campus
der Universität Lüneburg Hyberts Außenskulptur
'Pof83 [pylône]', einer inzwischen zum visuellen
Kennzeichen der Campusuniversität avancierten Skulptur,
die als Prototyp eine Art Beleuchtungsmast darstellt,
der unabhängig vom Festnetz der Stromversorgung
funktioniert, indem er alle in der Umwelt vorhandenen
Energiequellen nutzt; Wind, Sonne und Regen. Diese anscheinend
ideale technische Apparatur, Modell der Utopie einer
neuen, dezentralen Technikidee, ist in Wirklichkeit
eine 'poetische Maschine' (Robert Fleck), denn schon
in einer milden Nacht ohne Regen und Wind bricht die
Skulptur ihr Versprechen und die Betrachter bemerken,
dass hier keineswegs ein ökologischer Künstlerbastler
am Werk war. Nun tritt die Zweck- und Funktionslosigkeit
des als Beleuchtungsmast getarnten Kunstobjekts zutage,
einer Erfahrung, die in einer bestimmten Phase der Rezeption
bei allen POFs von Hybert auftaucht.
Damit scheint ein klassisches Thema des autonomen Kunstfeldes
aufgenommen zu sein, wonach - einem Diktum Adornos folgend
- die Kunst, wenn sie denn eine Funktion haben solle,
dies nur ihre Funktionslosigkeit sein könne. Aber
auch diese Position ist im POF eher ironisch kommentiert;
der Künstlerentrepreneur bietet sie als ein mögliches
'Qualitätsmerkmal' seiner Ware an. Wenn es denn
einen Hintergrund gibt für die künstlerischen
Paradigmen, mit denen Hybert operiert, so dürfte
dieser in dem Umstand liegen, dass er als Ausgangspunkt
für seine POFs immer das Medium der Zeichnung wählt.
Die Kunst nutzt Hybert als dreidimensionale Verwirklichung
des im freien Spiel der Zeichnung erarbeiteten Möglichkeitsraums.
Neben dieser den Produktionsvorgang betreffenden Besonderheit
können die POFs auch als skulpturale Objekte mit
performativem Charakter bezeichnet werden, womit sie
sich grundsätzlich von einer kontemplativen Ästhetik
abgrenzen. Der spielerische, aktive Test auf Brauchbarkeit
im Ausstellungssetting, die Weiterentwicklung oder Rückführung
in (z.B. ökologische oder ökonomische) Kreisläufe,
aus denen sie ursprünglich stammen, setzt einen
aktivierten Rezipienten voraus, der durch seine Partizipation
im künstlerischen Prozess die POFs mitgestaltet.
Wenn man so will, konstruiert Hybert eine auf dem Experiment
basierende Laborsituation.
Im Rahmen der Kooperation des Kunstraums der Universität
Lüneburg mit Fabrice Hybert, Preisträger der
Biennale von Venedig 1996 und dessen in Paris ansässiger
Firma Unlimited Responsibility (UR) werden im Januar
2003 insgesamt 42 POFs über den Campus der Universität
Lüneburg verteilt. Kurzvideos zeigen auf Monitoren
Eliane Pine Carrington beim Test und Gebrauch der POFs.
Auftakt hat das Projekt mit einer 'Ralley' in Paris
bereits im Oktober 2002 genommen. Unter Mitwirkung einer
Projektgruppe des Kunstraums der Universität Lüneburg
wurden POFs an rund 60 Orten in Paris im öffentlichen
Raum installiert, die von den Teilnehmern der 'Ralley'
gefunden werden mussten. Die Ralley endete in einer
'Nuit blanche' mit einer Performance des POF Cabaret
mit Eliane Pine Carrington am 5.Oktober 2002 im Pariser
Musée d'Art Moderne de la Ville de Paris.
Für den 'Kunstraum der Universität Lüneburg'
- gegründet 1993 - ist die Zusammenarbeit mit Fabrice
Hybert in mehrfacher Hinsicht von besonderer Bedeutung.
So wird das Ziel des Kunstraums, der regionalen und
überregionalen Öffentlichkeit zeitgenössische
Kunst auf avanciertem Niveau durch Projekte, Ausstellungen,
Vorträge, Symposien und Publikationen zu vermitteln,
durch die Zusammenarbeit mit einem der zur Zeit wichtigsten
französischen zeitgenössischen Künstler
eindrucksvoll verfolgt. Zugleich wird durch die spezifische
Anlage des Projekts eine Erhöhung des Praxisbezugs
der universitären Lehre, insbesondere im Rahmen
des Faches Kunst- und Bildwissenschaften im Kontext
des Studiengangs Angewandte Kulturwissenschaften erreicht
und gefördert. Zentraler Bestandteil des Projekts
ist zudem die Verwendung empirischer Befragungs- und
Beobachtungsmethoden zur Analyse des sozialen Gebrauchs
der auf dem Campus ausgestellten POFs, wodurch auch
kunstsoziologische Fragestellungen erörtert werden
können.
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